1.3. Der Laissez-faire-Kapitalismus

Als Schwert gegen den Feudalismus war das SMITHsche Werk eine scharfe Waffe und fand bei den neu aufkommenden Kräften großen Zuspruch. Bezogen auf den industriellen Kapitalismus und die sich dort zuspitzenden sozialen Mißstände, war das SMITHsche Werk hingegen relativ stumpf. Seine Wahrheiten, auf die man hätte bauen können, gingen alsbald unter in dem Strudel der Interessen, die sich in legitimatorischer Absicht auf SMITH beriefen und fortan meinten, „unter dem Namen [S. 94] und mit dem Dogma der Freiheit die Freiheit selbst unterdrücken zu können[185]“, wie LUDWIG ERHARD einmal gegenüber den Unternehmern formulierte, die es als eine unbillige Einmischung ansehen, wenn der Staat die von ihnen betriebene Monopolisierung der Märkte unterbindet. Ganz im Gegenteil ist für die Politik des industriezeitlichen Überganges kennzeichnend, daß die Unternehmermonopole (und damit deren Machtstellungen) als »fortschrittlich« galten, während die Vereinigungen der Lohnarbeiter mit aller Macht des Staates verboten und strafrechtlich verfolgt wurden. Man hatte sich darauf verständigt, die Arbeitskraft als notwendiges Betriebsmittel zu verstehen, dessen »natürlicher Preis«, wie der Preis jeder anderen Ware (z. B. Arbeitspferde oder Sklaven[186]), durch den Beschaffungsaufwand (Herstellungskosten, Reproduktionskosten) gegeben sei[187], während man selber als Besitzer des Betriebes (oder des »arbeitenden« Kapitals) seine »Rechte« auf den Ertrag der Betriebswirtschaft geltend machte. Da man das gesellschaftliche Gesamtprodukt aus dem Einsatz von Kapital und Arbeit zustandegekommen sah, war die Scheu, den Kostenfaktor Arbeit möglichst gering anzusetzen und die Akkumulation des Kapitals zu maximieren, gar vom »theoretischen« Standpunkt aus betrachtet gering. Der Kapitalist spielte nicht nur seine Macht voll aus, sondern wähnte sich dabei auch noch besonders nützlich. Es läßt sich hier nur wiederholen:

„Die Besitzenden sogen, wie v. THÜNEN bemerkt, gewissermaßen mit der Muttermilch die Ansicht ein, als sei der Arbeiter von der Natur selbst zum Lastträger bestimmt, als käme ihm für seine Anstrengung nur die Fristung des Daseins zu. Die Unternehmer und Brotherren betrachteten das Ringen und Streben der Arbeiter- und [S. 95] Dienstbotenkreise nach einem besseren Lose als eine ungerechte Anmaßung, die auf jede Weise und aus allen Kräften bekämpft werden müsse. »Niemals aber ist der Mensch entschiedener und beharrlicher im Unrechthandeln, als wenn er durch einen Verstandesirrtum das Unrechte für das Rechte ansieht, und es dann für Pflicht hält, dasselbe mit allen Kräften aufrecht zu erhalten und durchzuführen«.“[188]

Die Ideologie des Laissez-faire hat es denn auch nie dabei belassen, dem Kapitalisten freie Hand zu gewähren. Das Schwert des Staates war selbst unter dem Dogma der »Nichteinmischung« nur nach oben hin stumpf, während es nach unten gegenüber den ausgebeuteten Lohnarbeitern für »Recht und Ordnung« sorgte[189]. Die Ausbeutbarkeit der unterworfenen Klasse zu sichern, ist nach OPPENHEIMER die erste Funktion des Klassenstaates, der einer freiheitlich-liberalsozialistischen Gesellschaftsordnung diametral entgegensteht. Ich möchte diese Periode, die entwicklungsgeschichtlich zwischen dem primitiven Eroberungsstaat und dem modernen Verfassungsstaat anzusiedeln ist und unter einem bestimmten ideologischen Dogma stand, in Anlehnung an den Vorschlag von ERICH PREISER als »Laissezfaire-Kapitalismus« bezeichnen[190].

Unter »Kapitalismus« wird in dieser Arbeit eine geschichtliche Epoche verstanden, deren gesellschaftswirtschaftliche Ordnung durch die Interessen einer nach Mehrwertaneignung strebenden Klasse exklusiver Kapitalbesitzer gekennzeichnet ist. (↑ 39, 184)

Diese Definition umreißt knapp das Begriffsverständnis der OPPENHEIMERschen Theorie. Ihre einzelnen Elemente sind:

- Der Kapitalismus ist eine geschichtliche Epoche[191]:

OPPENHEIMER zufolge geht der Kapitalismus auf eine außerökonomische, »politische« Störung der klassenlosen Gemeinschaften während der Zeit kriegerischer Eroberung zurück (↑ 151, 158 f), die in der Hülle des Staates ihre auf Dauer angelegte »Rechtsform« gefunden hat. Alles soziale und wirtschaftliche Streben zielt seitdem auf eine Aussöhnung der tradierten Klassengegensätze. Ihre wirtschaftliche Vervollkommnung entspricht der Vorstellung einer »reinen Ökonomie«, die von den Wesensmerkmalen des Kapitalismus befreit ist (↑ 183 ff).

- Die Klasse exklusiver Kapitalbesitzer:

In einer Gesellschaft mit gleichmäßig gestreutem Besitz an den gesellschaftlichen Beschaffungs-und Werkgütern (↑ 103), in der jedes Gesellschaftsmitglied [S. 96] gleichermaßen Einkommen aus Arbeit wie Einkommen aus Sachvermögen bezieht[192], hat der Kapitalismus seiner Wirkung nach aufgehört zu existieren. Soziales Wesensmerkmal des Kapitalismus ist die einseitig gerichtete wirtschaftliche Ausbeutung des Menschen durch den Menschen (bzw. einer Unterklasse durch eine Oberklasse). Gibt es in einer Gesellschaft weder die bezeichneten Klassen noch eine ausbeutbare Abhängigkeitsbeziehung, in der diese zueinander stehen, dann gibt es in dieser Gesellschaft auch keine sozialen Auswirkungen, wie sie mit dem Begriff des »Kapitalismus« identifiziert werden.

- Die Aneignung des Mehrwertes:

Anders als KARL MARX versteht OPPENHEIMER unter »Mehrwert« denjenigen Wert, den ein Kontrahent im Tauschakt aufgrund seiner Machtposition als Aufpreis erzielen kann (↑ 40). Ihm steht begrifflich der »Minderwert« desjenigen gegenüber, der bei diesem Tauschakt auf der Verliererseite steht und den Tribut an die Machtposition des anderen zahlen muß. Fehlen in einer Gesellschaft alle Möglichkeiten, über Machtpositionen Mehrwert zu erzielen, kommt es zu einem Ausgleich aller Einkommen auf das natürliche Maß unterschiedlicher Qualifikation. „Was ist der Kapitalismus? Politisch-sozial gesehen: ein Klassenstaat, wirtschaftlich gesehen: eine Mehrwertpresse größten Stils!“[193] Wo hingegen weder Klassenstaat noch Mehrwertpresse anzutreffen sind, herrscht der Zustand des Sozialismus.

„Er ist nach meiner Definition »DER GLAUBEN AN UND DAS STREBEN AUF EINE VON ALLEM MEHRWERT, D.H. ALLEM ARBEITSLOSEN EINKOMMEN, ERLÖSTE, DARUM KLASSENLOSE UND DARUM BRÜDERLICH GEEINTE GESELLSCHAFT DER FREIEN UND GLEICHEN.«[194]

Im Gegensatz etwa zu KARL KAUTSKY und anderen Kommunisten, die den Begriff des Sozialismus mit ihrer Vorstellung einer marktlosen Gesellschaft gleichsetzten, strebt OPPENHEIMER sein Ziel durch Vervollkommnung der Marktwirtschaft an. Die sensiblen Begriffe »frei« und »gleich« sind hier eng auf ökonomische Sachverhalte bezogen: also das Recht des Individuums, seine Dienste und Produkte frei zu Markte tragen zu dürfen und dafür den vollen Gegenwert als Ertrag (ausgedrückt in gleichwertigen Diensten und Produkten anderer Marktteilnehmer) vom Markte nehmen zu können (↑ 179, 196, 201, 219, 373). [S. 97]

1.3.1. »Kapital« und »Profit«

Als Übersetzung des Begriffes »Kapital« hat sich irreführenderweise die des »produzierten Produktionsmittels« eingebürgert. Irreführend deswegen, weil dadurch die Phase des Kapitalismus suggestiv mit der Phase neuzeitlicher Hochtechnik verknüpft wird. Tatsächlich finden wir die Vermögensscheidung der gesellschaftlichen Klassen jedoch bereits in dem der Industrialisierung vorangegangenen Agrarkapitalismus angelegt, als die profittragenden Kapitalstücke vor allem aus Eigentum an unproduzierten Produktionsmitteln (Grund und Boden) bestanden. Irreführend aber auch, weil es ebenso eine Reihe profittragender Rechtstitel gibt, die »Kapital« im privatwirtschaftlichen Sinne darstellen, ohne Produktionsmittel zu sein (Patentrechte, Schuldverhältnisse), so wie es »Kapital« (Werkgut) im volkswirtschaftlichen Sinne gibt, das keinen Profit trägt, weil etwa der ausbeutbare Arbeiter oder die günstige Stellung zum Markt fehlt.

„Die unerläßliche Voraussetzung für das Verständnis des Kapitalismus als einer geschichtlichen Erscheinung ist eine ausreichende Theorie des Kapitalprofits. Wie kommt das Kapital bzw. der Kapitalist zu seinem Einkommen aus Profit? Welche Bedingungen müssen dazu gegeben sein? Ehe das nicht feststeht, sind die Fragen nach seinem Ursprung und seinem Wachstum usw. nicht lösbar.“[195]

Diese »Generalfrage« gibt uns den weiteren Verlauf der Untersuchung vor. Die Definition des Begriffes »Kapital« sollte weit genug sein, damit alle »Mehrwert heckenden« Erscheinungen erfaßt werden. Sie sollte andererseits eng genug sein, damit zufällig zeitgleich auftretende Erscheinungen, die die Höhe des Kapitalprofits nicht beeinflussen, auch nicht mit einbezogen werden.

„Das Wort Kapital entstand aus dem Ausdruck »Summa capitalis«, der »Hauptsumme« eines Darlehens, im Gegensatz zu den dafür geschuldeten Zinsen oder Interessen.“[196] In diesem eigentlichen Sinne als Geldvermögen, von dem ein Profit oder Zins erwartet wird, ist »Kapital« universell einsetzbar und kann seinen Maximalprofit über den Ankauf der verschiedensten Rechtstitel suchen. Geld kann verliehen werden an Personen, die es dringend zu ihrer Existenzsicherung benötigen. Es kann spekulativ verausgabt werden in der Hoffnung auf Preissteigerungen knapper Güter. Man kann es natürlich auch einsetzen, um sich Grund, Gebäude, Maschinen und Arbeiter zu mieten und dadurch Produkte oder Dienste auf den Gütermarkt zu bringen. Unter bestimmten wirtschaftlichen Randbedingungen ist es naheliegend, die Masse des verfügbaren Kapitals in den produzierenden Sektor einzulegen, weil das in Werkgütern umgesetzte Kapital dort seinen Maximalprofit findet. Daß die Schuldverhältnisse und Zinsbegehren volkswirtschaftlich unterscheidbarer Vermögensklassen keineswegs automatisch produktives Verhalten hervorbringen, ergibt sich unmittelbar aus der Klärung des Kapital-Begriffes[197]. Denn nach [S. 98] ADAM SMITH gilt es, Werkgüter und Arbeit produktiv zu kombinieren, nicht Schuldverhältnisse oder Besitzansprüche und Arbeit.

Wir SETZEN als Erkenntnisziel der Kapitalismus-Analyse den Zusammenhang von Wirtschaftsordnung und sozialer Ungleichheit, sofern durch die Wirtschaftsordnung das natürliche Maß menschlicher Ungleichheit durch benennbare Wirkungsmechanismen deutlich überschritten wird.

Die Definition von »Kapital« und »Kapitalismus« muß geeignet sein, die durch das Interesse des Kapitals in die Gesellschaft induzierten »Ausbeutungsmechanismen« zu beschreiben bzw. die gesellschaftsrechtlich geschützten Machtpositionen, die der »Ausbeutung« in jedweder Form zugrundeliegen. Durch die Verquickung von sozialer, politischer und ökonomischer Ebene ergibt sich ein etwas komplizierter Sachverhalt, der sich am besten an einem Beispiel entwickeln läßt:

Mit gegenwärtiger Technologie wäre es möglich und profitabel, einen tödlichen Virus erst heimlich freizusetzen und wenig später ein patentrechtlich geschütztes Gegenmittel anzubieten. Warum könnte ein Unternehmen die Idee verfolgen, jeden Weltbürger mit sagen wir 100 DM zu »besteuern«? Der Gedanke liegt nahe, weil sich über das Patent ein rechtlich geschütztes Monopol installieren läßt, das dem Kapital eine von Herstellungskosten abgekoppelte, konkurrenzlose Ausbeutung der Gesellschaft garantiert. Und weil Monopolgüter in ihrem »Marktpreis« einzig durch verfügbare Substitutionsmittel begrenzt werden -also der Energieträger Gas z. B. durch Öl, Kohle, Windkraft etc. -entzieht sich ein nicht substituierbares Gut selbst dieser ökonomischen Preisgrenze. Eine Krankheit, die nur mit einem Heilmittel oder Impfstoff behandelt werden kann, ist somit ein optimales »politisches« Ausbeutungsgut in einer Gesellschaft, die durch Patentrechte Monopolpositionen zuläßt und schützt. Wenn wir die Bewegungen des Kapitals in ihrer ganzen Bandbreite erfassen wollen, müssen wir uns von dem historisch dominanten Fall der Ausbeutung des besitzlosen Arbeiters lösen und annehmen, daß der von MARX beschriebene Fall des gesellschaftlichen »Kapitalverhältnisses« „ein charakteristischer Sonderfall des Monopolverhältnisses ist“[198].

Die Ausbeutung des Arbeiters ist eine von vielen möglichen Formen der Ausbeutung, die in einer bestimmten historischen Phase als die dominierende Form hervortritt. Das Kapitalinteresse selbst kennt hingegen mehr als nur diesen einen Weg, und deswegen finden wir in der Geschichte nicht nur Versuche der abhängig Beschäftigten, sich aus ihrer Abhängigkeit zu befreien (Produktiv-und Produktionsgenossenschaften), sondern ebenso kann es zu einer systematischen Ausbeutung des Konsumenten, des Bankkunden, des Versicherten, des Mieters etc. kommen. In allen diesen Bereichen finden wir Genossenschaftsgründungen, und es wird ein Gegenstand dieser Arbeit sein, den Zusammenhang von Genossenschaftsgründung und wirkender Monopolstellung der exklusiven gesellschaftlichen Vermögensklasse aufzuzeigen.

[S. 99] Folgende Klärung durch MARX greift OPPENHEIMER auf: „Er erkannte, daß das Kapital keine Sache ist, sondern ein »gesellschaftliches Verhältnis zwischen Personen«. Er sagt: »Ein Neger ist ein Neger; unter bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen wird er zum Sklaven. Eine Baumwollmaschine ist zunächst nichts anderes als eine Maschine zum Baumwollspinnen; unter bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen wird sie zu Kapital.« Er beschreibt das gesellschaftliche »Kapitalverhältnis«, das gegeben sein muß, damit Werkgut Kapital sei (d. h. damit das Eigentum an Werkgut Profit abwerfe), folgendermaßen: Wo alles Werkgut in den Händen einer Minderheit ist, während die Mehrheit aus »freien Arbeitern« besteht, da ist Kapitalismus.“[199] Das »Kapitalverhältnis« und die daraus folgende Höhe des Profits wird somit in der Produktionssphäre beeinflußt durch die Mengenrelation von Werkgutbesitzern und nichtbesitzender Klasse zueinander sowie einer unterschiedlich gelagerten Dringlichkeit des Austauschbedürfnisses in diesem Verhältnis, das den »freien Arbeiter« bei Strafe des Unterganges zu einem Angebot seines Dienstes zwingt, während der Werkgutbesitzer im schlimmsten Falle selber arbeiten muß (und kann!), um seine Existenz zu sichern.

Das bis hierhin Gesagte steht mit den Auffassungen anderer Autoren keineswegs im Widerspruch, sondern bereitet lediglich einen bestimmten Lösungsweg vor. Um den Vergleich zu ermöglichen, gebe ich hier eine Zusammenstellung anderer Auffassungen wieder:

„K. MARX sieht das Wesen der »kapitalistischen Produktionsweise« darin, daß »das Kapital und seine Selbstverwertung als Ausgangspunkt und Endpunkt, als Motiv und Zweck der Produktion erscheint«, wobei »der Besitzer von Produktions-und Lebensmitteln den freien Arbeiter als Verkäufer seiner Arbeitskraft auf dem Markt vorfindet«, diesem nur den Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft bezahlt, aber ihren Tauschwert erhält und die Differenz der beiden als den Mehrwert bezieht.

»Quadragesimo anno« (1931) hat unter »kapitalistischer Wirtschaftsweise« »jene Wirtschaftsweise im Auge, bei der es im allgemeinen andere sind, die die Produktionsmittel, und andere, die die Arbeit zum gemeinsamen Wirtschaftsvollzuge bereitstellen«.

Lehren und Weisungen der österreichischen Bischöfe (1925): »Dieser wirtschaftliche Liberalismus ist zum Kapitalismus im schlimmsten Sinne, zur Gewaltherrschaft des Besitzes geworden. Das hat zuallererst Unordnung und Zerrüttung in den Gesellschaftsbau gebracht.«

Kölner Richtlinien (1927): »Kapitalismus ist die auf Kapitalverwendung beruhende und auf Kapitalvermehrung ausgerichtete Wirtschaft.«

H. PESCH definiert den »individualistischen« Kapitalismus als »die Beherrschung der Volkswirtschaft durch das Geldinteresse des Kapitalbesitzes«.

G. BRIEFS sieht »das Wesen des Kapitalismus darin, daß das Kapital den gesellschaftlichen Wirtschaftsprozeß individualistisch unter marktmäßigem Wettbewerbe der benötigten Arbeit organisiert und leitet unter dem zentralen Motiv der Mehrwertschaffung«.“[200]

[S. 100] Als Definition für den Begriff »Kapital« wird hiermit ein Verständnis zugrundegelegt im „ursprünglichen und eigentlichen Sinne für ein Geldvermögen, von dem ein Profit oder Zins erwartet wird.“[201]

Da dieser Profit oder Zins nicht aus dem reinen Geldbesitz erwachsen kann, sondern nur auf dem Wege der Einwechslung in zinstragende Kapitalstücke (Rechtstitel), treten in dem Begriff »Kapital« zwei Sachverhalte dicht nebeneinander auf: nämlich das Kapitalstück einerseits, welches den Zins abwirft, und die Grundlage des Anspruchs auf diesen Zins, der sich letztlich aus dem Geldvermögen herleitet.

Damit lassen sich zumindest begrifflich zwei Idealtypen unterschiedlich gelagerter Interessen gegeneinander abgrenzen, die unter der Rubrik »Kapitalist« gemeinhin zusammengefaßt werden und in der Praxis auch kaum in Reinform vorkommen.

Der »Geldbesitzer« ist der eigentliche Eigentümer des universellsten Wertgutes (Generalgläubiger), dessen alle anderen gesellschaftliche Akteure bedürfen, um ihre Belange regeln zu können. Aus der Universalität des Geldbesitzes erwächst der höchste Freiheitsgrad innerhalb des ökonomischen Systems wechselseitiger Abhängigkeiten. Der Freiheitsgrad des einen Akteurs und die Mangellage des anderen begründet den Anspruch auf Zins oder Profit. Das »Kapitalstück«, in das hinein der Geldbesitzer sein universelles Wertgut abgibt, wählt er nach dem Kriterium optimierter Aussicht auf Steigerung des Geldbesitzes. Endprodukt des Kreditzyklus G → ? → G' ist die erneute Verfügung über das gegebene Geldvermögen plus einen erzielten Zinsertrag. Welcher Art die Mangellage des Kreditnehmers ist, die diesen dazu veranlaßt, den Kredit aufzunehmen und einen Zins zu leisten, ist durch das Kapitalinteresse des Geldbesitzers inhaltlich nicht weiter bestimmt. Die Differenz von G zu G' = δG kann als Tribut von kreditnachsuchenden Unternehmen geleistet werden, von vorfinanzierenden Konsumenten oder von dem Staat selber, der per Steuerhoheit und Staatsverschuldung alle Einkommensbezieher belastet und δG an die Kreditgeber leistet. Gemeinsam ist allen Leistungsverpflichteten ihre Bindung über rechtsgültige Kredittitel (K), so daß der Kreditzyklus in vollständiger Darstellung G → K → G' lautet.

Der »Unternehmer« ist im ursprünglichen Sinne eine wirtschaftlich selbständig tätige Person, die zum Zweck der Einkommenserzielung Güter oder Dienste zu Markte trägt. Wesentlicher Bestandteil seiner Motivation ist die eigene Existenzsicherung. Als Güter verbrauchende Person, die mit ihrer privaten Nachfrage an den Markt herantritt, muß er durch Hinzufügung eigener Arbeitsleistung Güter gleichen Wertes in der Höhe seiner Nachfrage schaffen. In dieser Funktion ist der Unternehmer Produzent. Er kann tributpflichtiger Produzent sein, wenn ihm eine Produktion nur durch Abhängigkeit von dem Geldbesitzer möglich ist. Er kann tributfordernder Produzent sein, wenn die Tatsache seiner Tätigkeit so selten ist, daß Vorproduzenten oder Konsumenten genötigt sind, höhere Werte zu geben als sie erhalten. Als Produzent benötigt er Werkgüter (W) und erstellt ein Mehr an Werkgütern (W') oder Waren (oder Diensten) durch Hinzufügung von Arbeit. Die [S. 101] Ertragsformel des selbständigen Einzelproduzenten lautet unter Hinzufügung von Eigenarbeit (A) W + A = W', wenn sich die Werkgüter in Eigenbesitz befinden. Ist er zu 100 % fremdfinanzierter, tributpflichtiger Darlehensnehmer, setzt er dem Werte nach einen Kredit K = W ein und gewinnt W' -δG als Ertrag. Kann er in seiner Eigenschaft als Großproduzent seine Vorproduzenten, abhängig Beschäftigte oder Kunden unter Druck setzen, erhöht er seinen Ertrag um δE (Mehrwert aus Einkaufsmonopolen) und δV (Mehrwert aus Verkaufsmonopolen). Die Ertragsformel des Unternehmers lautet somit (W + K + A) → (W' -δG+ δE+ δV), sofern er über Einkaufs-oder Verkaufsmonopole verfügt. Die Tributpflicht gegenüber dem Geldbesitzer wird in dem Produktionsprozeß letztlich weitergereicht an den Kontrahenten größter Abhängigkeit, wobei bekanntlich auch zwischen den Unternehmen (Großkonzern bis Kleinstunternehmen) eine Hierarchie der Abhängigkeiten besteht.

AUFTEILUNG DER WERTSCHÖPFUNG UND MONOPOLGEWINNE

Schuldverpflichtung gegenüber dem Fremdmittelgeber (Geldbesitzer/ Banken) Eigenarbeit Eigenbesitz Unternehmerinvestition Zinslast (Kapitalmarktanteil) Ertrag aus Eigenarbeit Verzinsung aus Eigenbesitz Extraprofit aus Ein-und Verkaufsmonopolen Unternehmergewinn G + δ G W' + δE + δV -δG Wertschöp-fungsprozeß

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Ohne die Scheidung von Geldbesitz und Unternehmertätigkeit verschwimmen zwei gesellschaftsbewegende Interessenkonstellationen ineinander, durch die die kapitalabhängige Unternehmung in einem unausweichlichen Profitzwang steht, wogegen dieser Zwang in der Genossenschaft (wiederum idealtypisch gedacht) neutralisiert werden kann. In ihr besteht die Möglichkeit, den Ertrag aus Eigenarbeit (A) zu optimieren und somit natürlich Überschüsse und Erträge zu erwirtschaften (W + A = W'). Dieser Ertrag aus Eigenarbeit kann hingegen völlig profit-oder »ausbeutungsfrei« sein, weil die Genossenschaft auf die Gleichheit der Rechte ihrer Mitglieder hin konstruiert ist. Sie verwirklicht anstelle des Singularinteresses eines Unternehmers, der die Betriebswirtschaft als Erwerbseinheit seines Privathaushaltes auffaßt und sich zu diesem Zwecke andere Haushalte unterordnet, eine besondere Form des gemeinschaftlichen Erwerbes, bei dem die wechselseitige Bindung zwischen Gruppe und Individuum einen ethisch begründeten Standpunkt herausbilden muß, der zumindest nach innen dem Gerechtigkeitsideal der Genossen [S. 102] entspricht. Die breit gestreute Herkunft der selbstfinanzierten Kapitaleinlage gibt der Genossenschaft neben der Möglichkeit, einen Gruppenwillen zu formulieren, auch die Chance, ihn über eine Gruppenstrategie zu verwirklichen. Sofern die Genossenschaft in diesem Punkt besondere Freiheitsgrade aufweist, wollen wir uns deren Wahrnehmung nicht mit den gewählten Begriffen bereits verbauen.

Profit oder Zins fällt dem reinen Kapitalisten (früher sprach man von der »genießenden Klasse«) nicht zu, indem er Geld besitzt oder werterzeugend arbeitet, sondern indem das Geld gegen gesellschaftlich garantierte Rechtstitel eingetauscht wird, die Profit oder Zins abwerfen, und zwar der Höhe nach bestimmt durch die Dringlichkeit der Vertragsparteien, sich um ihrer Existenzsicherung willen auf solch einen Vertrag einlassen zu müssen. Damit können wir alle Formen der natürlichen Knappheit, der Konkurrenzbeschränkung, Monopolbildung und klassenpolitisch erstrittenen Vorzugsstellungen preisbestimmend in die ökonomische Rechnung eingehen lassen, wenngleich sie als »Gefahr« im Sinne des gewählten Analyseziels von unterschiedlicher Bedeutung sind.

Das »Kapitalverhältnis« wird beschrieben durch die in einem Wirtschaftsgebiet unterschiedlich gestreuten Mangellagen einerseits und durch die im Rahmen einer Rechtsordnung geschützten Chancen ihrer wirtschaftlichen Nutzung andererseits.

Indem der Kapitalist DIE MANGELLAGE in Richtung STEIGENDER KNAPPHEIT beeinflußt, beeinflußt er die Höhe seiner Profite. Indem er sich dabei auf seine »guten Rechte« berufen kann, realisiert er die Profite auf dem Fundament der Rechts-oder Wirtschaftsordnung, die als »kapitalistische« bezeichnet werden muß, sofern die Erwirtschaftung von Kapitalprofit ein höheres Rechtsgut darstellt als die Ausgleichung der preisbestimmenden Mangellagen durch einen frei wirkenden Marktmechanismus (↑ 95, 182, 212, 245).

Für den Arbeitsmarkt bedeutet dies, daß nur dort die Profite aus Produktionskapital hoch stehen, wo eine hohe Zahl von Arbeitslosen mit den Beschäftigten um Arbeit konkurriert und so die kapitallosen Arbeitnehmer gezwungen sind, insgesamt Abstriche an dem eigenen Lohn hinzunehmen, sich mit einem Minderwert zu begnügen und dem Kapital Mehrwert zu überlassen. Ziel des Kapitalisten ist, eine möglichst große Zahl von Arbeitnehmern auszuschließen oder die Reservearmee durch »Import« rechtsschwacher Arbeitskräfte aus dem Ausland herzustellen.

Für den Wohnungsmarkt bedeutet dies, daß nur dort die Profite aus Mieteinnahmen hoch stehen, wo ein Mangel an Wohnraum den Wohnungssuchenden dazu zwingt, auf weniger dringliche Konsumgüter zu verzichten, um das hochstehende Bedürfnis einer Bleibe mit seiner Ertragskraft abdecken zu können.

In dem obigen Beispiel des Medikamentes bedeutet dies, daß die Gewährung eines patentrechtlichen Verwertungsmonopols bei nicht substituierbaren Gütern die idealste Form eines erworbenen Rechtsgutes zugunsten des Kapitals darstellt. Sein Preis kann von dem Beschaffungsaufwand der Gegenleistung entkoppelt sein und [S. 103] sich einzig an der »Not der Nachfrage« und »Ausbeutbarkeit der Gesellschaft« orientieren.

Wir werden die Beispiele an anderer Stelle fortführen und näher aufschlüsseln. Hier sei nur die kurze Formel beschrieben: ohne einseitige Dringlichkeit kein Profit, ohne Profit keine sozial-wirtschaftliche Auswirkung des Kapitals. Immer wird es eine Vermögensbildung in der Form von Wohnraum, Produktionsstätten oder Forschungsanlagen geben. Ebenso werden tätige Personen unterschiedlicher Qualifikation für ihre geleistete Arbeit bei Freiheit des Wettbewerbes immer unterschiedliche Preise erzielen. Aber das Vermögen wird keinen sozial relevanten Profit abwerfen, wenn es gleichmäßig gestreut ist und keine einseitige Dringlichkeit irgend jemanden dazu zwingt, einen Tribut an den Eigentümer monopolisierter Befriedigungschancen zu zahlen.

Um Verwechslungen vorzubeugen, werden die produzierten Produktionsmittel fortan »gesellschaftliches Beschaffungsgut« oder »Werkgut« genannt[202].

„Weil der Begriff »Kapitalismus« von »Kapital« abgeleitet ist, haftet ihm die gleiche verhängnisvolle Doppeldeutigkeit an. Das eine Mal wird er »volkswirtschaftlich« verstanden als eine Wirtschaftsgesellschaft, in der hochtechnisch ausgebildetes Werkgut in Gestalt von Fabriken, Transportanstalten usw. eine Hauptrolle spielt -und das andere Mal »privatwirtschaftlich« als eine Gesellschaft, in der das Geldvermögen, das »Kapital« im eigentlichen, in unserem Sinne, zuerst neben das Handwerk tritt, um es dann anzugreifen und mehr und mehr zurückzudrängen, vielfach gänzlich zu verdrängen. Und auch hier herrscht die Meinung vor, daß es die eine und gleiche Sache sei, nur angeschaut von verschiedenen Standpunkten her, das eine Mal von dem der Privat, das andere Mal von dem der Volkswirtschaft. Diese Auffassung ist gerade so unhaltbar wie gegenüber dem Kapital selbst. Auch hier tut eine reinliche begriffliche Scheidung bitter not. Wir werden im folgenden die mit entwickeltem Werkgut ausgestattete Gesellschaft als »Hochtechnik« bezeichnen und den Ausdruck »Kapitalismus« ausschließlich in seiner Bedeutung als eine Gesellschaft gebrauchen, in der das Einkommen aus Kapital in unserem Sinne, der Profit, der »Mehrwert«, eine sozial wichtige Rolle spielt. Hochtechnik und Kapitalismus sind nicht eines und das gleiche, sind nicht Kopf und Schrift der gleichen Münze: sondern sind nur in einer einzigen geschichtlichen Epoche, der unseren, derart miteinander gekuppelt, daß sie den Schein der Einheit vortäuschen.“[203]

Eine Lösung des Mehrwert-Problems hätte demnach nicht den Verzicht auf die Erwirtschaftung von Zugewinnen oder Erträgen anzustreben, sondern die Auflösung einseitiger Dringlichkeiten, aus denen das für kapitalistische Ordnungen typische Ausbeutungspotential erwächst.

Die Schaffung von Vermögenswerten in breiter Streuung ist dabei z. B. Voraussetzung für Ansprüche auf eine gerechte Aufteilung des Arbeitsertrages. Gleiches gilt für alle anderen Genossenschaftszweige, in denen durch erarbeitete Teilhaberschaft besondere Anrechte entstehen. Wir werden weiter unten feststellen (↑ 227), daß die Genossenschaft besondere Methoden bereithält, den ursprünglichen Mangel an Kapital durch Arbeit zu substituieren. Sie führt im günstigen Falle ihres [S. 104] Gelingens einen Ausgleich der einseitigen Dringlichkeiten durch wirtschaftliche Betätigung herbei, greift das kapitalistische Mißverhältnis also an, indem sie ebenso rationell wenn nicht gar rationeller wirtschaftet, aber den Ertrag »brüderlich« und nicht »herrschaftlich« nach Leistungsbeiträgen und nicht nach Verfügungsrechten verteilt. Damit kennt sie nach innen im Idealfalle keine Mehr-und Minderwerte, also keine Profite, obwohl sie nach Zugewinn und Einkommen ihrer Mitglieder nach dem Prinzip des kleinsten zulässigen Mittels strebt wie andere Unternehmungen auch. Ihre Wertbasis des »kleinsten zulässigen Mittels« ist dabei allerdings durch den zu erzielenden Gruppenkonsens breiter und somit tiefer im gesellschaftlichen Gefüge verankert, als dies bei den durch private Entscheidungen und geschützte Verfügungsrechte operierenden Unternehmensbesitzern der Fall ist.

1.3.2. Sozialpsychologischer Determinismus

Wenn wir das menschliche Handeln betrachten, dann erscheint uns dieses niemals allein auf der Ebene irgendeiner reinen Sachlogik, sondern ist stets auch verknüpft mit »Überzeugungen«. Kein Mensch kann sein Schnitzel genießen, ohne davon überzeugt zu sein, daß die gerechte Stellung eines Schweines zum Menschen die des Schnitzels ist. Kein Südstaatler zog voll Vaterlandsliebe und Opferbereitschaft in den Krieg gegen die Nordstaaten, ohne aufrichtig davon überzeugt zu sein, daß die natürliche Stellung eines Schwarzen gegenüber einem Weißen die des Sklaven sei. Kein Weißer Südafrikas kämpfte einst für die Apartheid, kein Spanier oder sonstiger Kolonialist ermordete die Ureinwohner des eroberten Landes ohne aufrichtige Überzeugung, mit seinem Handeln Gutes und Richtiges zu tun (»Gottes Gebote« zu vollziehen, jenen »Primitiven« die »Kultur« zu bringen, das »Schicksal« zu erfüllen etc.). So gut wie jede Tat, die irgendwann von einer Menschengruppe der anderen angetan wurde und später, von einem unabhängigen Standpunkt und unter dem Primat der Gleichheit, verurteilt wurde, geschah unter irgendeinem Vorwand, ohne leiseste Regung des »Gewissens«. »Gewissen« ist, so wurde oben (↑ 73, 77) bereits angeführt, das Produkt einer geeinten sozialen Gruppe, deren Mitglieder ihre Zugehörigkeit und Rechte wechselseitig anerkennen.

Dahinter stehen drei Vorgänge, wie sie in den wissenssoziologischen Grundlegungen bei FRANZ OPPENHEIMER aufgearbeitet wurden[204]: [S. 105]

  1. Es gibt für jede Handlung ein reales oder nachträglich konstruiertes Motiv. Das heißt, der Mensch neigt dazu, grundsätzlich alle seine Handlungen rational zu erklären, selbst wenn zum Zeitpunkt der Handlung unreflektierte Impulse handlungsauslösend sind. Wir sprechen in solchen Fällen von einem nachträglichen Rationalisieren irrationalen Verhaltens (↑ 277).
  2. Der Mensch ist suggestibel. Er folgt in der Masse den Handlungen seiner Bezugsgruppe und »denkt«, was man an üblicher Haltung innerhalb der Gruppe einnimmt. Das Individuum ist dabei regelmäßig von seiner Spontanität überzeugt und davon, einen eigenen Entschluß gefaßt zu haben, während es ebenso regelmäßig lediglich Meinungen des Kollektivs übernimmt. Die Suggestibilität ist neben der Rationalität wichtigster Erklärungsansatz für soziologisch relevante Erscheinungen in Gruppen und Gesellschaften.
  3. Die übliche Haltung einer Gruppe zu einem Gegenstand oder zu einer anderen Gruppe ergibt sich aus ihrem bedrohten oder geförderten Interesse. Handelt es sich um einen Konkurrenten, ist die Haltung feindlich; handelt es sich um ein Ausbeutungsobjekt, werden dessen Rechte minderwertig geachtet; handelt es sich um einen Streitgefährten (Genossen), steht dieser auf gleicher Stufe wie man selber etc. Auch »Theorien« der Gesellschaftswissenschaft sind demnach oft nichts weiter als »Ideologien« bestimmter Personen mit bestimmten Bezugsgruppen und Interessen. Keine ernstzunehmende Gesellschaftswissenschaft wird möglich sein, bevor sich die Wissenschaftler nicht ihrer »persönlichen Gleichung« bewußt werden, die sie im Einklang mit ihrer Bezugsgruppe bestimmte Sichtweisen einnehmen und Phänomene rationalisieren läßt.

RÜSTOW schreibt: „Ich habe in einer besonderen Arbeit nachgewiesen, daß dies erstaunliche Versagen des bis dahin so erfolgreichen Wirtschaftsliberalismus nur religionsgeschichtlich zu verstehen ist[205]. Der stoische Deismus, der den Wirtschaftsliberalismus aus der Taufe hob, war von dem religiösen Glauben durchdrungen, daß die Marktgesetze Ausflüsse der göttlichen Weltvernunft seien, in die mit menschlichen Maßnahmen einzugreifen Anmaßung und Sünde wäre.“[206] Bei OPPENHEIMER liest sich die Parallele (gemachter) »Realität« und Ideologie gerade entgegengesetzt:

„Die bürgerliche Theorie ist, wie die ganze Aufklärung, der sie entstammt, unhistorisch, ja, antihistorisch eingestellt; und das hat diesem Problem [der Erklärung des Kapitalprofites, W.K.] gegenüber besonders schwere Folgen gehabt. Denn hier kam ein anderes hinzu, um die Augen zu blenden: die »Bourgeois-Ökonomik« ist schon seit [S. 106] RICARDO und MALTHUS ausgesprochen apologetisch, ist »Legitimationslehre«: sie will gegenüber den Anklagen des Sozialismus den Kapitalprofit nicht nur erklären, sondern durch eben diese Erklärung gleichzeitig rechtfertigen. Aus dieser Einstellung heraus wird der Kapitalismus nicht als das betrachtet, was er in Wirklichkeit ist: als eine »historische«, sondern als eine »ewige Kategorie«. Schon die »Urgesellschaft« der Gleichen und Freien, die diese Theorie antihistorisch als den Ausgangspunkt der gesellschaftlichen Entwicklung annimmt, wird als kapitalistisch angesehen. Die Steinaxt des Urbauern, das Netz des Urfischers sind »Kapital« und werfen ihren Besitzern Profit ab! Die Theorien, mit der der Profit unter dieser Voraussetzung deduziert wird, sind von erbarmungswürdiger Schwäche. Hier argumentiert das »inhärente Gruppeninteresse«[207] der Kapitalistenklasse, kraft des »sozialpsychologischen Determinismus«[208] in der gewöhnlichsten Art und Weise mit Scheinargumenten unter Mißachtung der elementarsten logischen Gesetze. Das gilt sogar von den zeitlich ersten und sicherlich geistesmächtigsten Vertretern der bürgerlichen Klassentheorie, von WILLIAM LOCKE[209] und RICARDO, dessen Lehre vom Profit wir schlechthin als kindisch bezeichnen mußten[210], und noch mehr von seinen zahlreichen Nachfolgern, unter denen BASTIATs berühmt-berüchtigte Erzählung von Jacobs Hobel[211] den Rekord der Albernheit hält.“[212]

Es ergeben sich nach OPPENHEIMER folgende Gesetzmäßigkeiten:

Die sozialen Imperative schreiben den Mitgliedern einer Menschengruppe immer genau dasjenige Verhalten vor, das den Bestand der Gruppe bei dem kleinsten Aufwande an Kraft und Mitteln gewährleistet.[213]

Zweitens aber:

„Nur dem Genossen gegenüber besteht die Pflicht, seine persönliche Würde zu achten, nur der Genosse hat daher gegen den Genossen Rechte. Aber gegenüber dem »Ungenossen« gibt es weder Recht noch Pflicht. Wer nicht zu »Uns« gehört, wird vom Wir-Interesse nicht ergriffen: im Gegenteil, IHM STELLT SICH DAS GRUPPEN-WIR ALS »GRUPPEN-ICH« AUSSCHLIEßEND ENTGEGEN; und was für die Gesamtheit gilt, das gilt auch für die einzelnen.“[214]

Diese oftmals unbewußt geltenden Imperative wirken nun gesellschaftsgestaltend, wie sich selbsterfüllende Prophezeiungen[215], weil dasjenige, was den Akteuren als Erkanntes gilt, Teil ihres handlungsleitenden Motivs ist. Man nehme an, daß die soziale Ungleichheit einer bessergestellten Gruppe Motiv ist, da unmittelbar mit Hochachtung und Genuß verbunden. Ihre Handlungen werden dergestalt sein, daß sie ihrer sozialen Bezugsgruppe, sich selber und in wechselseitiger [S. 107] Unterstützung ihres Standes, mit dem kleinsten Aufwand an Kraft und Mitteln den Bestand sichern. Der kleinste Aufwand ist nur in einer Recht und Gerechtigkeit realisierenden Gesellschaft die Arbeit (↑ 171 ff), ansonsten aber z. B. der Raub, der Machtmißbrauch, die Privilegienbeschaffung etc. Also wird man diese anwenden, Erfolge erzielen und die angewendeten Mittel nicht einmal für Unrecht erkennen, da sie der selbstdefinierten Stellung, die eine gehobene gegenüber den anderen sein soll, entsprechen. Und schon stehen wir vor dem letzten Schritt, der statt einer Theorie die Legitimationslehre erfordert, damit sich der wahre Ursprung der Ungleichheit vertuschen läßt.

Mit der Lehre von der »ursprünglichen Akkumulation« werden wir weiter unten (↑ 165) eine Rechtfertigungsstrategie der Vermögensunterschiede kennenlernen. Die gleiche Funktion erfüllt eine Doktrin des Laissez-faire, die bei genauerer Betrachtung wohl dem Kapitalisten freie Hand gewährt, aber diesen sehr wohl mit Staatsmacht gegen die Empörung des Pöbels schützt, der einen verletzten Konsens reklamiert. Der Laissez-faire verfolgt als Ideologie nichts anderes, als daß die rechtsetzende Institution des Staates, die im Falle eines legitimen Verfassungsstaates an die Stelle der subjektiven Gerechtigkeit ein positives Recht setzt (welches dem Subjektiven nicht gänzlich widersprechen darf, sondern im günstigsten Falle dessen Objektivierung darstellt), ohne Maßstab und Rechtsnorm hinnimmt, was eine zur Handlung befähigte Klasse an Rechtem und Unrechtem veranstaltet. Verfolgen wir die zwei Ebenen der Realität und ihrer ideologischen Rationalisierung.

Als objektive ökonomische Gesetzmäßigkeit läßt sich mit OPPENHEIMER, hier in den Worten ERICH PREISERs, feststellen: „Neben der Leistungskonkurrenz ist (...) noch die Gewaltkonkurrenz möglich, die nur ein anderer Ausdruck dafür ist, daß man Gewinne nicht durch bessere Leistung macht, sondern auf Grund von sozialen Machtpositionen aller Art. Suchen wir nach einer möglichst allgemeinen Formulierung, so können wir sagen: Leistungskonkurrenz wird überall da herrschen, wo es erstens keine Klassenmonopole gibt und wo zweitens der Einzelne schwächer ist als der Markt, wo er also keinen oder nur unerheblichen Einfluß auf die Preisgestaltung hat, wo er sich daher anpassen, wo er »dienen« muß.“[216]

Mit dieser Formulierung gibt PREISER, soweit ich sehen kann, eine Grunderkenntnis wieder, die im Kreise der ORDO-Liberalen allseitig geteilt wird[217]. Die logische Konsequenz ist, daß es zwei realweltliche Ausprägungen der Marktwirtschaft geben kann: die auf Gewaltkonkurrenz beruhende und die auf Leistungskonkurrenz beruhende. Welche der beiden Formen hat der Laissez-faire realisiert, als er für sich das Wort »Freiheit« beanspruchte? RÜSTOW schreibt:

„... nur solange die unnachsichtliche Marktpolizei eines starken und unabhängigen Staates jede private Monopolbildung und jede Behinderungskonkurrenz ausschließt, dient die Marktwirtschaft der automatischen Gleichschaltung von Eigennutz und [S. 108] Gemeinnutz, da nur in der vollständigen Konkurrenz sich niemand auf andere Weise als durch bessere oder/und billigere Belieferung der Abnehmer einen Vorteil vor konkurrierenden Anbietern verschaffen kann. Das gerade Gegenteil von alledem geschah. Das Monopol wurde perverser Weise das selbstverständliche Ideal des Unternehmertums, dem nationale und internationale Kartelle, Konzerne, Trusts mit allen Mitteln nachjagten. Der Staat, je pluralistisch zersetzter, desto bereitwilliger, leistete dabei durch Schutzzölle, Außenhandelsregelungen, diplomatische Interventionen, Subventionen aller Art, verkehrs-und steuerpolitische Begünstigungen, jede erdenkbare Hilfe, ja schließlich versteckte oder -durch Zwangskartellierung -offene Zutreiberdienste, und selbst staatliche Monopolkontrolle diente letzten Endes nur als cache-sexe. Gerichtshöfe und Banken waren mit von der Partie. Ein größenwahnsinniges Wettrennen nach dem Maximum von Betriebs-und Unternehmensgröße, von Marktumfang und Produktionsziffern, begann und wurde von der megalomanen Öffentlichkeit mit rasendem Beifall begleitet und stimuliert.“[218]

Hauptinhalt der politischen Unternehmertätigkeit war die Ausschaltung des Marktes, der Aufbau von Machtpositionen, die Schaffung von Abhängigkeiten und die Vernichtung selbständiger Existenzen. Es passierte somit gerade das Gegenteil von dem, was SMITH den Nationen anempfohlen hatte. Statt einer Befreiung ihrer individuellen Initiativkräfte erlebten die Menschen einen Wechsel vom agrarischen zum industriellen Kapitalismus, einen Austausch der herrschenden politischen Klassen also, statt einen Wechsel der wirtschaftenden Mittel. Nach wie vor war das außerökonomische Mittel (OPPENHEIMER) bzw. die Gewaltkonkurrenz (PREISER) statthaft, und es fehlte den gesellschaftlichen Institutionen jeder Begriff, um das eine von dem anderen zu unterscheiden.

„Der absolute Staat, selbst ein Geschöpf des Rationalismus, findet, solange er noch mit den feudalen Mächten um seine Existenz zu ringen hat, in den »merchant adventures«, in denen noch immer die zwei Seelen des Piraten und des Kaufmanns in einer Brust beieinander wohnen, seine natürliche Verbündeten. Die beiden Verbündeten nützen ihre Macht ungescheut auf Kosten aller anderen Teile des dritten Standes aus; der Kommerz, auf den die Staaten angewiesen sind, um die damals noch unerhörten Geldmittel aufzubringen, die der Luxus der Höfe und die eben erst entstandenen Heere erfordern, setzt eine Wirtschafts-und Handelspolitik durch, die die Landwirtschaft zermalmt und demjenigen, damals noch sehr kleinen und schwachen Teile der Industrie, der für den Binnenmarkt tätig ist, die Kundschaft des platten Landes ruiniert. (...) Gegen diese einseitig im Interesse eines Standes betriebene Politik setzen sich in Frankreich die Vertreter der Landwirtschaft, in England die der heimischen, hauptsächlich für den Binnenmarkt arbeitenden, also weniger Luxus-als gröbere Gebrauchswaren produzierenden Industrien zur Wehr. So entstehen die ersten wissenschaftlichen Systeme der Ökonomik, in Frankreich die von QUESNAY begründete »Physiokratie«, in Großbritannien das »Industriesystem« des ADAM SMITH. (...) Das also: die segensreiche Wirkung der sich selbst überlassenen wirtschaftlichen Freiheit und die verhängnisvolle Wirkung des mit seinen plumpen Händen in den wunderfeinen Mechanismus eingreifenden Staates, ist das thema probandum der sogenannten klassischen Schule; hier und in der Methode bleibt sie bis zu ihrem Verfalle einheitlich, während sie in wichtigen anderen Beziehungen sich sehr bedeutend wandelt. Wir haben zu unterscheiden den optimistischen [S. 109] Sozialliberalismus der Begründer, QUESNAYS und SMITHs, die sich noch als die Vorkämpfer der ganzen Nation fühlen, von der schwer pessimistischen »Bourgeoiseökonomik« der nächsten Generation, die mit ihrer trüben Wissenschaft (CARLYLEs »dismal science«) bereits die Vertreterin der inzwischen zur Alleinherrschaft oder wenigstens Mitherrschaft aufgestiegenen kapitalistischen Bürgerschicht gegen den jetzt erstehenden Sozialismus ist; und der darauf folgenden dritten Generation der Schule, der sogenannten »Vulgärökonomik«, wie MARX sie nennt, die ihr Geschäft der Klassenadvokatie mit wenig Witz und viel Behagen unschöpferisch und rabulistelnd fortsetzt, als besoldeter Klopffechter der herrschenden Klasse gegen den an Zahl, Macht und Ideenreichtum immer mehr erstarkenden Sozialismus.“[219]

War die Idee bei SMITH noch die des gemehrten Volksreichtums, so wendet sich das Blatt bei MALTHUS und RICARDO. Der verletzte gesellschaftliche Konsens, den die gebundene Wirtschaft der Stände, auf welchem unhaltbaren Niveau auch immer, noch kannte, sowie die Entstehung einer der dauerhaften Lohnknechtschaft zugedachten Klasse, die der nach Kapitalistenmacht strebende Laissez-faire-Kapitalismus nicht befreite, führte die Abspaltung einer für sich nach Liberalismus strebenden (sozialistischen) Arbeiterbewegung herbei. Die Vertreter der Klasse, die ihre Macht mit Hilfe der liberalen Argumentation durchgesetzt hatten, machten der Arbeiterklasse recht unmißverständlich klar, daß diese sich nicht auf gleiche Ziele berufen durfte[220].

„Der alte Liberalismus mußte um so mehr Erbitterung hervorrufen, als zwar in der Theorie das Laissez-faire-Prinzip für alle gelten sollte, in der Praxis aber die starken Gruppen sich ohnehin immer zu helfen gewußt haben, während gerade die Schwachen nur allzu oft auf der Strecke blieben. Diese Schwachen, die sich hilflos einem von ihnen nicht zu meisternden Unglück gegenübersahen und sich begreiflicherweise an ihre Position klammerten, mußten sich außerdem noch gefallen lassen, als reaktionäre Ignoranten und Egoisten gebrandmarkt zu werden. So ist es immer wieder den Handwerkern, den Weinbauern, den Kleingewerbetreibenden, den Arbeitslosen und ähnlichen Gruppen ergangen, und vielen ergeht es heute noch so. Wir wollen nicht alle verzweifelten Bestrebungen jener Gruppen verteidigen, aber wenn der Liberalismus nur die Wahl ließ zwischen Laissez-faire und der reaktionären Erhaltungsintervention (in der Tat, dem Prinzip des Naturschutzparks im Wirtschaftsleben), war es da ein Wunder, daß die Betroffenen sich für den letzten Weg entschieden und den Liberalismus mit einem unkonstruktiven und grausamen Dogmatismus gleichsetzten, noch dazu mit einem Dogmatismus, der in der Praxis nicht einmal mit gleichem Maß zu messen wußte?“[221]

[S. 110] Der Kampf der Klassen ist nicht von MARX oder ENGELS »erfunden« worden, sondern war schon lange Realität eines duldsamen Obrigkeitsstaates, den die herrschende Klasse mit »göttlichen Weihen« ausgestattet auf Ewigkeiten hin in seiner Klassenscheidung zu erhalten und verteidigen dachte. „Den Bourgeois galt ihre Gesellschaft des Kapitalismus grundsätzlich als die Gesellschaft, als das letzte Wort der Entwicklung, als ordre naturel. Sie waren bestrebt, diese Gesellschaft einerseits auf Kosten der noch nicht ganz ohnmächtigen Reste der Feudalverfassung auszudehnen, andererseits gegen die immer wuchtiger werdenden Angriffe der Arbeiterklasse zu verteidigen. Dieser aber galt die bürgerliche Gesellschaft als eine todeswürdige Form des Staates, als eine neue Ausgabe des alten Klassenstaates. Sie beanspruchten schon durch ihren Namen, »Sozialismus«, die wahre Gesellschaft gegen den Staat zu vertreten.“[222]

„Bei THOMAS MALTHUS (1766 -1834) und EDMUND BURKE (1729 -1797) wird der Ansatz der liberalen Gesellschaftslehre ins Konservative gewendet. Beide fühlen sich noch durchaus ihren großen liberalen Vorgängern verpflichtet, gehen aber in entscheidenden Punkten über deren Lehren hinaus. (...) Während des ganzen 18. Jahrhunderts war es die herrschende Meinung gewesen, daß die Bevölkerung sich langsam vermindere. (...) Noch CHATHAM und SHELBURNE äußern gegen Ende des 18. Jahrhunderts die typisch merkantilistische Befürchtung, daß die Macht Englands wegen des Bevölkerungsschwundes rückläufig sei. Die Theorie von MALTHUS, nach der alle menschlichen Gesellschaften von einem beständigen Bevölkerungsüberschuß bedroht seien, weil sich die Bevölkerung in geometrischer Reihe, die Nahrungsmittel aber nur in arithmetischer Reihe vermehrten, mußte daher Aufsehen erregen. Mit ihrer Hilfe konnten zudem die sozialen Probleme erklärt werden, die in England immer drückender spürbar wurden, und sie bot sich somit zur Verteidigung der bestehenden Institutionen an. Entgegen der Kritik, die jetzt gegenüber den gesellschaftlichen Institutionen laut wird, äußerte MALTHUS die Ansicht, daß die sozialen Probleme nicht auf die Institutionen, sondern auf das generative Verhalten der Menschen zurückzuführen seien. Alle radikalen Forderungen nach einer Egalisierung der Besitzverhältnisse würden diese Sozialprobleme nicht ändern, sondern im Gegenteil nur verschärfen. Die Ungleichheit des Besitzstandes und das Elend der niederen Volkskreise erhalten hier, entgegen den Ansichten von ADAM SMITH, eine natürliche bzw. moraltheologische Rechtfertigung. Die ungehemmte Vermehrung der Bevölkerung zwingt dazu, das Eigentum als Schutzwall gegen die Begehrlichkeit zu errichten, damit diejenigen, die fleißig und enthaltsam sind, nicht immer wieder durch die andrängenden Bevölkerungsmassen um die Früchte ihrer Arbeit gebracht werden.“[223]

„Unter seinen [RICARDOs] Händen wird die Nationalökonomie eine Klassenwaffe der Kapitalisten, die politische Ökonomie eine Anweisung zum »make money«, zum reich werden. Die Gesellschaft zerbröckelt und wird in eine Summe von Atomen zerstoßen, die nur durch ein gleichgeartetes Interesse zu festeren Gruppen zusammengebunden werden. In diesem Auflösungsprozeß kristallisieren sich als neues soziales Gebilde die Klassen der Landlords, der Kapitalisten und der Lohnarbeiter. Die politische [S. 111] Ökonomie wird fortan -um mit MARX zu reden -zur Vulgärökonomie, zur Klassenwissenschaft.“[224]

Wen wundert es angesichts dieser offensichtlich einseitig gerichteten Interessenlage, daß der »Liberalismus« gleichermaßen bei der Arbeiterschaft in Verruf geriet, wie der »Sozialismus« bei der entgegengesetzten Klasse? Von den Idealen her gesehen, waren der Liberalismus und der Sozialismus einst wie Zwillingsbrüder, beschrieben Weg und Ziel der gleichen Sache. Aber Laissez-faire-Kapitalismus hier und Bolschewismus dort, die von den Idealen nicht mehr übrig ließen als eine auf Klasseninteressen verkürzte Ideologie, haben die ursprünglich humanistischvisionären Begriffe verbogen. Damit ist die Idee dahin oder braucht einen anderen Namen.

„Der Liberalismus, so schrieb JOSEF EDMUND JÖRG 1877, »hat seine Seele aus Manchester und hier allein ist er sterblich. Man versteht den herrschenden Liberalismus nicht, wenn man ihn auch heute noch als volkstümliche Freiheitsliebe auffassen will, wie vor Zeiten. Dieser Liberalismus ist vielmehr nichts anderes als die politische Dogmatik derjenigen socialen Classe, welche von der modernen Nationalökonomie geschaffen worden ist.«[225] Mit Aussagen wie dieser trug JÖRG, ein bekannter katholischer Publizist der Reichsgründungsära, zur Verfestigung eines antiliberalen Klischees bei, das in dem Maße an Beliebtheit gewann, in dem die politischen Feinde des Liberalismus sich mehrten. Den Kern dieses Klischees bildete die Gleichsetzung des Liberalismus mit der kapitalistischen Bourgeoisie und dem »Manchestertum«, eine Gleichsetzung, in der sich Katholiken wie JÖRG mit Konservativen wie RUDOLF MEYER und Sozialisten wie MARX und LASSALLE einig wußten. Alle diese Männer sahen im Liberalismus lediglich eine ideologische Fassade, hinter der sich eigensüchtige Bereicherungsinteressen verbargen. Indem man den Liberalismus so charakterisierte, konnte man ihm all jene unguten sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen in die Schuhe schieben, von denen viele Deutsche sich in ihrer Existenz bedroht sahen.“[226]

1.3.3. Das Problem einer Lösung

Ziehen wir eine kleine Zwischenbilanz unseres Weges bis hierhin. Punkt 1.1. sollte deutlich gemacht haben, daß »Kapitalismus« nicht mit kapitalintensiven oder besonderen technischen Produktionsformen zu tun hat. Er ist keine ausschließliche Erscheinung des industriellen Zeitalters, sondern in allen Gesellschaften finden wir vor dem industriellen Kapitalismus einen agrarischen Kapitalismus. Voraussetzung, um in diesen Zusammenhängen überhaupt etwas zu erkennen, ist natürlich, daß die soziale Frage als solche zugelassen wird, das Problem der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen also nicht einfach geleugnet oder als Problem abgestritten wird. Punkt 1.2. zeigte daraufhin, daß die Idee des Liberalismus [S. 112] keineswegs ein Postulat der asozialen Gesellschaft oder asozialer Individuen darstellt. Wenn von HAYEK meint, was »sozial« heiße, wisse niemand, dann konnte ihm durch Heranziehung von ADAM SMITH geholfen werden. Es ist die Geltung des urmenschlichen Prinzips der wechselseitigen Gebundenheit und Orientierung mit all ihren natürlich daraus erwachsenden Normen gemäß des von KANT formulierten »kategorischen Imperatives«. Wer diese Voraussetzung gelten läßt, bewegt sich in einem Geflecht sozialer Bezogenheiten; wer sie auflöst oder atomisiert, atomisiert den Zusammenhalt der Gesellschaft als solchen und macht aus einer Kultur wieder rivalisierende Horden auf dem untersten Niveau primitiver Leib-und Magenverbundenheit. SMITH hat all dies gewußt, die Grundlage moderner Sozialwissenschaft gekannt. Daß diese Grundlage von interessierten Kreisen der Laissez-faire-Ideologie geleugnet wurde, liegt daran, daß diese den Konsens der Gesellschaft verletzen wollten. Damit beginnt die Geschichte des Klassenkampfes in neuzeitlichem Gewand, wenngleich in Kontinuität der Traditionen zum feudalen Vorläufer.

Wir haben uns die Aufgabe gestellt, das Werk OPPENHEIMERs nachzuvollziehen. Er fragte nach den Ursachen des Mehrwertes, den Ursachen der ökonomischen Krisen, den Ursachen der Völkerkrisen überhaupt. Seine Methode ist die des Arztes, der Normalität und Abweichung benennt und nach Ursachen forscht. Diesen Standpunkt zu teilen, kann man niemanden zwingen, wie uns die Einnahme des Standpunktes nicht verboten werden kann. Der Lehrmeister des »organisierten Liberalismus«, LUDWIG VON MISES, schreibt: „Eine Gesellschaft, in der die liberalen Grundsätze durchgeführt sind, pflegen wir die kapitalistische Gesellschaft zu nennen und den Gesellschaftszustand als Kapitalismus zu bezeichnen. (...) Nur dem, was von liberalen Ideen in unserer Gesellschaft lebendig ist, was unsere Gesellschaft an Kapitalismus enthält, danken wir es, daß die große Masse unserer Zeitgenossen eine Lebenshaltung führen kann, die hoch über der steht, die noch vor wenigen Menschenaltern dem Reichen und besonders Begünstigten möglich war.“[227] Würden wir diesem Standpunkt folgen, wäre die Fragestellung unserer Arbeit wegdefiniert. MISES schreibt in den nächsten Zeilen seines Textes von den Demagogen, die die Dinge anders sehen als er, und definiert Kapitalismus als Hochtechnik. Wir folgen ihm darin nicht, weil Hochtechnik in einer genossenschaftlichen wie herrschaftlichen Wirtschaftsorganisation gleichermaßen zum Einsatz kommen kann und bei einer derartigen Beliebigkeit des Begriffes eine Gleichsetzung von Hochtechnik und Kapitalismus keinerlei Erkenntniswert beinhaltet. Die Gleichsetzung ist zudem ahistorisch, weil Kapital „im ursprünglichen und eigentlichen Sinne für ein Geldvermögen, von dem ein Profit oder Zins erwartet wird“ steht (↑ 100), während der andere Begriff für Hochtechnik der des Produktionsmittels ist. Steht das Produktionsmittel aber im Eigenbesitz und ist frei von jeglicher Schuldbeziehung, dann funktioniert es nicht weniger gut, sondern besser im Sinne der selbststeuernden Gesellschaftswirtschaft eines ADAM SMITH. Daß Kapitalismus und Ausbeutung herrschen, ist wahrlich keine Voraussetzung für den Völkerwohlstand, [S. 113] sondern Ursache leidvoller Völkerkrisen. So weise ich denn auch DETMAR DOERING zurück, wenn er schreibt: „Die Ursache der immensen Steigerung des Wohlstandes aller Menschen, die der Liberalismus bewirkt hat, ist der Kapitalismus. (...) Nicht die Arbeit schafft Kapital (so wie die Feinde des Liberalismus im Gefolge von MARX), sondern das Kapital schafft die Arbeit. Der Kapitalismus verschafft damit dem Menschen die realen ökonomischen Möglichkeiten, seine Freiheiten zu erweitern.“[228]

Die Ausgangsposition der Wissenschaft im Zusammenhang mit den jungen Phänomen des industriellen Kapitalismus läßt sich in vielerlei Hinsicht vergleichen mit dem Auftreten eines neuen Virus in der Medizin. Wenn der Virus sich anders verhält als alles bis dahin Bekannte, dann wird man ihn anzugreifen versuchen an jedem Punkt, der irgendwie besonders auffällt. Man wird versuchen, ihn auszuhungern, seine Vermehrung zu stoppen, ihn zu verbrennen, vergiften, zu irritieren, fixieren, neutralisieren etc. Motiv und Ziel sind klar, während es an der Theorie noch mangelt und die Vorgehensweise entsprechend dem geringen Durchdringungsgrad mit Unmittelbarkeiten ansetzt.

Wir haben bis hierhin bereits vieles genannt, womit der industrielle Kapitalismus auffällig einhergegangen ist. Neue Maschinen, Aufhebung des alten gesellschaftlichen Gefüges, Verrohung der Sitten in den Fabriken und Armenvierteln, überregionale Märkte, Anhäufung von produktivem Eigentum in den Händen einer besitzenden Klasse, Konkurrenz und Vernichtungskämpfe unter den Unternehmen, mörderische Konkurrenz unter den abhängig Beschäftigten, Spaltung der Gesellschaft in eine genießende und befehlende sowie eine leidende und abhängige Klasse, eine entfaltete Geldwirtschaft mit ungleicher Verteilung des Geldbesitzes, Wirtschaftskrisen überregional und weltweit etc.

Alle diese Phänomene sind Begleiterscheinungen eines einzigen Verursachers, dem mit »Kapitalismus« schnell ein Namen zugeordnet wurde, aber dessen Funktionsweise mit der Benennung noch lange nicht erkannt sein muß. Gewiß, dem Zeitgenossen mußte es plausibel erscheinen, gegen die genannten Phänomene anzukämpfen; immerhin besteht eine gewisse Kausalität. Somit war er mal gegen die neuen Maschinen, gegen die Aufhebung des alten gesellschaftlichen Gefüges, gegen die Verrohung der Sitten, gegen die überregionalen Märkte, gegen die Anhäufung des produktiven Eigentums in den Händen einer besitzenden Klasse, gegen Konkurrenz und Vernichtungskämpfe unter den Unternehmern, gegen die Konkurrenz der abhängig Beschäftigten untereinander, gegen die Abhängigkeiten und Armut, gegen die Geldwirtschaft oder den Geldbesitz, gegen alles, was sich als mögliche Ursache der Wirtschaftskrisen ansehen läßt. Völlig konsequent, wenn aus den Haltungen auch gegen irgend etwas gerichtete Aktionen erwachsen, die als Entlastungshandlungen subjektiv immer noch erträglicher sind als ohnmächtiges Erdulden. Doch in dieser Konstellation ist die Gefahr sehr groß, in einem Spiel von Kraft [S. 114] und Gegenkraft gefangen zu werden, sich also der Logik erster Ordnung[229] folgend unmittelbar gegen etwas zu wenden, ohne allerdings dessen Generierungsprinzip erkannt zu haben und damit den Mißstand zu beeinflussen.

Die naheliegenden Gedanken einer »imitation par opposition«[230], wie GABRIEL TARDE das Prinzip nannte, ist eine Konstruktion einfacher Art, deren Reiz darin besteht, daß sie A und -A gegenüberstellt und somit logisch Null ergibt. Daran läßt sich zumindest hoffnungsfroh glauben, bis Experimente und Erfahrung das Gegenteil lehren. Der Haken einer an Phänomenen orientierten Suchstrategie bezüglich der Sozialen Frage ist nur, daß die Phänomene letztlich auch durch soziale Konstellationen entstehen. Sie müßten als Proportion von A zu A' ausgedrückt werden, also z. B. von Macht zu Ohnmacht. Ihre Lösung erfordert keine Aufhebung (Null Macht), sondern einen Ausgleich (A : A' = 1; => A = A'). Dieser Ausgleich beschreibt einen Zustand der Ruhe aller Kräfte, der von den nach Macht strebenden Wirtschaftspersonen absichtsvoll in ein Ungleichgewicht gebracht wird, weil dieses Ungleichgewicht für sie wirtschaftlich maximal rentabel ist. Da dieses »Ungleichgewicht« einen Ruhepunkt darstellt, auf den hin eine Ökonomie in Abhängigkeit von ihrer sozial (un)gleichgewichtigen Klassenkonstellation strebt, kann das politisch festgeschriebene Ungleichgewicht auch als »bedingtes Gleichgewicht« aufgefaßt werden (↑ 195).

Macht zu haben und Macht auszuüben kostet. Wer Macht ausübt, also andere Personen zu Gehorsam veranlaßt, um seinen Willen durchzusetzen, muß einen Aufwand betreiben. Bezahlen, bedrohen, bestechen etc. stehen für Kosten. In der kapitalistischen Wirtschaft stehen diesen Kosten Erträge gegenüber, die die Kosten überschreiten. Macht gebiert Mehr-Macht. Das ist das Prinzip des Verstärkers mit Rückkopplung[231]. Weil die Macht des einen mit der Ohnmacht des anderen einhergeht und für uns nur das Auseinanderfallen gesellschaftlicher Klassen relevant ist, entsteht bei diesem Gedanken eine Aussage über das gesellschaftliche KlassenMacht-Verhältnis, das ausgeglichen und unbedeutend oder unausgeglichen und bedeutend sein kann.

In der Konjunkturtheorie wird das Auf und Ab der kapitalistischen Wirtschaft als ein Zyklus aufgefaßt, der gleich einer Sinuskurve um eine fiktive Nullachse schwingt. [S. 115]

SCHEMATISCHE DARSTELLUNG DES KONJUNKTURZYKLUS

SCHEMATISCHE DARSTELLUNG DES KONJUNKTURZYKLUS

Vgl. HENRICHSMEYER u. a.: Einführung in die Volkswirtschaftslehre, Stuttgart 1983, S. 28.

Die Wechsel der Konjunkturlagen mögen einer Sinusschwingung ähnlich sehen. Nur erklärt die gefundene Analogie noch nicht, wodurch der Amplitudenausschlag zustandekommt. Die Sinuskurve ist eine sich selbst generierende Figur, deren Amplitude durch die Winkelfunktion des Einheitsvektors definitorisch gegeben ist. Mit der Figur transportiert man daher unter Umständen die Vorannahme der Unabänderlichkeit zyklisch eintretender Krisen, so wie sich früher Mißernten zyklisch einstellten.

Hingegen beschreibt OPPENHEIMER die Konjunkturverläufe als eine Abfolge von Potentialanhebungen und Zusammenbrüchen. Er verwendet also das Bild einer rückgekoppelten Verstärkerschaltung mit Vernichtungskrise am Ende jeder Periode. Und in dieses Bild setzt er als intervenierende Variable den Faktor der kumulierten wirtschaftlichen Macht (was nicht bedeutet, daß die politische Ökonomie keine weiteren Krisen zusammenbrauen könnte). Mit OPPENHEIMER betrachten wir wohlgemerkt ausschließlich die der kapitalistischen Wirtschaftsordnung immanente Hauptstörung, während hier die selbstgemachten Störungen der politischen Institutionen nicht mit eingehen. [S. 116]

FRANZ OPPENHEIMERS WIRTSCHAFTSMODELL

Modell

1 = Errichtung der Bodensperre samt ihrer rechtlichen Hülle, dem Klassenstaat.
2 = Phase wachsender Armut ohne Klassenbewußtsein (Pauperismus).
3 = Phase der Wanderung und Sammlung des Paupers in den industriellen Zentren.
Entstehung eines neuen Klassenbewußtseins als Proletariat.
4 = Weltwirtschaftskrisen und Weltkriege.
5 = Errichtung einer Wirtschaftsordnung; Soziale Marktwirtschaft.

Es wird im weiteren Verlauf der Arbeit nicht möglich sein, das überaus komplizierte Feld der Konjunkturtheorien aufzuarbeiten[232]. Dennoch wird die Grundidee OPPENHEIMERs zur Darstellung kommen und der Zusammenhang zwischen »Krise der Gesellschaftswirtschaft«, »Machtakkumulation«, »Wettbewerb«, »Politik« und »Genossenschaft« vertieft werden. Die Genossenschaft erscheint unter diesem Blickwinkel als Vereinigung der unter einer künstlich geschaffenen Mangelsituation Leidenden, die aufgrund ihres entgegengerichteten Interesses wiederum ausgleichende Kräfte mobilisieren und organisieren. Ihr normatives Prinzip des gerechten Ausgleiches zwischen den Genossen sowie die gestärkte Eigenverantwortlichkeit und Handlungsfähigkeit im freiwilligen Kooperationsverbund wirken in Richtung eines primären gesellschaftlichen Gleichgewichtes, das einen anderen Ruhepunkt des Wirtschaftssystems (bedingtes Gleichgewicht) nach sich zieht, mit dauerhaften Amplitudenausschlag Null auf der Krisenkurve (gleich Krisenfreiheit der Gesellschaftswirtschaft). Diese Ernte stellt OPPENHEIMER in Aussicht (↑ 219).

Fußnoten
[185]
LUDWIG ERHARD: Wohlstand für alle. Düsseldorf 1957, S. 139 f.
[186]
Vgl. ROBERT MOHL: Die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der politischen Ökonomie, Deutsche Vierteljahrs Schrift, Heft 3/1840, S. 26 -70 (anonym), Neuabdruck in Carl Jantke, Dietrich Hilger, Die Eigentumslosen, Freiburg 1965, S. 319 -337. MOHL schreibt: „Wir glauben ..., daß zwei Vorwürfe nicht abgewälzt werden können: der eine dahingehend, daß das Industriesystem zur Zersetzung der Organisation der bürgerlichen Gesellschaft in ihren Elementen wesentlich beiträgt; zweitens, daß sie rücksichtslos, fast unmenschlich in vielen Beziehungen ist, indem sie ganz außer acht läßt, daß der Mensch kein fühlloses totes Werkzeug zur Reichtumgewinnung, sondern ein mit Gefühl für Schmerz und Lust, für Hoffnung und Verzweiflung begabtes Geschöpf ist.“ (S. 319) Und: „Man hat die Negersklaverei aufgehoben, ungeheure Opfer hierfür gebracht, unermeßliche Interessen dabei auf das Spiel gesetzt. Und man hat sicher nicht mehr getan, als der Mensch und der Christ schuldig war. Aber der Folgewidrigkeit! In derselben Zeit, in denselben Ländern, läßt man, entweder ganz ruhig oder leicht zufrieden gestellt durch bloße Scheinmaßregeln, unzählige Kinder durch freudenlose, schmerzenreiche, Körper und Seele verkrüppelnde Jugendzeit hindurchmartern. Ist es doch wohlfeiler und sind die kleinen Finger geschickter zum Anknüpfen zerrissener Baumwollfäden! Wahrlich, diese Verwendung der Kinder ist ein Schandmal für unsere Zeit, und zwar um so scheußlicher, als die Mißhandlung noch dazu eine Feigheit ist, da sie Wehrlose trifft. Was aber hat die politische Ökonomie getan, um diesen Greuel zu verhindern? So gut wie nichts. Wenn nicht gar vorgerechnet wird, daß die Zinsen aus den Maschinen sich allzuhoch belaufen würden, wenn sie nicht möglichst lange Stunden jeden Tag arbeiten könnten oder daß ein Wechsel der arbeitenden Kinder immer mit dem Zeitverlust von einigen Minuten verbunden wäre, so ist doch ein scheues Achselzucken die einzige Mißbilligung, der stets bei der Hand liegende Trost aber die Hinweisung auf die Vorteile der freien Konkurrenz, welche dergleichen nötig machen.“ (S. 323 f)
[187]
Diese Vorstellung findet ihren »wissenschaftlichen« Ausdruck in dem »ehernen Lohngesetz« von DAVID RICARDO.
[188]
Siehe Fußnote 29 auf Seite 37 dieser Arbeit.
[189]
Vgl. CLAUS-DIETER STORM: Verfolgt und geächtet. Handwerker zwischen Liberalismus und Kommunismus. In: Ergebnisse, Hefte für historische Öffentlichkeit, Nr. 12/1980, S. 17 -100. Ebenso LUDWIG-UHLAND-INSTITUT FÜR EMPIRISCHE KULTURWISSENSCHAFT (Hg.): Als die Deutschen demonstrieren lernten. Das Kulturmuster »friedliche Straßendemonstration« im preußischen Wahlrechtskampf 1908 -1910. Begleitband zur Ausstellung im Haspelturm des Tübinger Schlosses vom 24. 1. bis 9. 3. 1986, Universität Tübingen 1986.
[190]
Vgl. ERICH PREISER: Die Zukunft unserer Wirtschaftsordnung. Eine Betrachtung über Kapitalismus und Soziale Marktwirtschaft. 5. Aufl., Göttingen 1968, S. 16 ff und 26 ff.
[191]
Vgl. FRANZ OPPENHEIMER: Kapitalismus. In: Leipziger Lehrerzeitung, wissenschaftliche Beilage, Nr. 60, Jan. 1931, S. 469 -478, hier S. 469.
[192]
In dieser Gesellschaft wird es freilich kaum ein »Einkommen aus Sachvermögen oder Werkgütern« geben, denn »vermieten« oder »verrenten« läßt sich nur etwas in einer Mangellage. Der Begriff der »Exklusivität« und der Begriff des »Kapitals« fallen in dem Punkt der Ertragsfähigkeit zusammen. Vermögen, das keine Profite bringt, zählt dagegen nicht als Kapital, wenngleich dieses Vermögen allen Erfordernissen der Produktion genügt, wenn nicht gar besser (siehe S. 102 und 202 dieser Arbeit).
[193]
FRANZ OPPENHEIMER: Kapitalismus -Kommunismus -Wissenschaftlicher Sozialismus. Berlin 1919, S. 3.
[194]
FRANZ OPPENHEIMER: Kapitalismus -Kommunismus ..., a.a.O., S. 7 f. Siehe auch FRANZ OPPENHEIMER: Der Ausweg. Notfragen der Zeit. Berlin 1919, S. 9 f.
[195]
FRANZ OPPENHEIMER: System IV, Geschichte, S. 1033.
[196]
FRANZ OPPENHEIMER: System IV, Geschichte, S. 1027.
[197]
Vgl. WERNER KRUCK: »Marktwirtschaftliche Selbststeuerung« ..., a.a.O., S. 252 ff.
[198]
FRANZ OPPENHEIMER: Soziale Frage, S. 12.
[199]
FRANZ OPPENHEIMER: System IV, Geschichte, S. 1034.
[200]
JOHANNES MESSNER: Die soziale Frage im Blickfeld der Irrwege von gestern, der Sozial kämpfe von heute, der Weltentscheidungen von morgen. 6. neubearb. Aufl., Insbruck 1956, S. 29 f.
[201]
FRANZ OPPENHEIMER: System IV, Geschichte, S. 1031.
[202]
Vgl. FRANZ OPPENHEIMER: System IV, Geschichte, S. 1031.
[203]
FRANZ OPPENHEIMER: System IV, Geschichte, S. 1031 f.
[204]
KARL MANNHEIM: Ideologie und Utopie, 5. Aufl., Frankfurt a. M. 1969, zählt OPPENHEIMER noch zu den Vorläufern einer Wissenssoziologie (S. 266 und 289), dessen Standardwerk allgemein so bekannt sei, daß es nicht extra aufgeführt werden müsse (S. 57). KURT H. WOLFF: Versuch zu einer Wissenssoziologie, Berlin 1968 widmet OPPENHEIMER zumindest noch einige Zeilen (S. 126, 175, 179 f), während jüngere Arbeiten OPPENHEIMER nicht mehr anführen (vgl. KURT LENK: Ideologiekritik und Wissenssoziologie. Frankfurt a. M. 1984. VOLKER MEJA, NICO STEHR: Der Streit um die Wissenssoziologie. 2 Bde., Frankfurt a. M. 1982). Für die Kontinuität der OPPENHEIMERschen Wissenssoziologie steht allerdings, daß der Lehrstuhl OPPENHEIMERs, der 1929 an KARL MANNHEIM überging, anschließend wiederum an den OPPENHEIMER-Schüler GOTTFRIED SALOMON wechselte. Siehe auch GOTTFRIED SALOMON: Geschichte als Ideologie. In: Wirtschaft und Gesellschaft. Festschrift für Franz Oppenheimer, Frankfurt a. M. 1924, S. 427 -484. Die wissenssoziologischen Grundlegungen OPPENHEIMERs findet man in FRANZ OPPENHEIMER: System der Soziologie, Band 1: Allgemeine Soziologie, original 1922/23, 2. Aufl. Stuttgart 1964. Fortan zitiert als „FRANZ OPPENHEIMER: System I, Soziologie, S. 605 ff, Abschnitt „Die statische Gesellschaft der Konstruktion“ sowie anderenorts im System I.
[205]
Fußnote im Zitat: „ALEXANDER RÜSTOW: Das Versagen des Wirtschaftsliberalismus als religionsgeschichtliches Problem, Istanbuler Schriften 12, Istanbul 1945, (Titel-)Auflage, Verlag Helmut Küpper 1950.“
[206]
ALEXANDER RÜSTOW: Ortsbestimmung der Gegenwart, Bd. 3, Herrschaft oder Freiheit? Erlenbach-Zürich 1957, S.159 f.
[207]
Querverweis im Zitat: FRANZ OPPENHEIMER: System I, Soziologie, S. 891 ff.
[208]
Querverweis im Zitat: FRANZ OPPENHEIMER: System I, Soziologie, S. 505 ff.
[209]
Querverweis im Zitat: FRANZ OPPENHEIMER: System II, Der Staat, S. 58 ff.
[210]
Querverweis im Zitat: FRANZ OPPENHEIMER: System III, Theorie, S. 571 ff.
[211]
Querverweis im Zitat: FRANZ OPPENHEIMER: System III, Theorie, S. 687 ff.
[212]
FRANZ OPPENHEIMER: System IV, Geschichte, S. 1033 f.
[213]
Vgl. FRANZ OPPENHEIMER: System I, Soziologie, S. 605, indirektes Teilzitat.
[214]
FRANZ OPPENHEIMER: System I, Soziologie, S. 362.
[215]
Vgl. die Darstellung des Realitäten hervorbringenden Prinzips, sowie zum Thema »Suggestibilität«, PAUL WATZLAWICK: Selbsterfüllende Prophezeiungen. In: derselbe (Hg.), Die erfundene Wirklichkeit, München 1981, S. 91 -110.
[216]
ERICH PREISER: Wirtschaftswissenschaft im Wandel. Gesammelte Schriften zur Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik. Hildesheim 1975, S. 103.
[217]
Diskutieren müßte man lediglich, ob es »der Einzelne« oder besser »der einzelne Produzent« heißen sollte, denn nur dieser, und nicht etwa auch der Konsument, hat zu »dienen«.
[218]
ALEXANDER RÜSTOW: Ortsbestimmung der Gegenwart, Bd. 3, a.a.O., S. 160.
[219]
FRANZ OPPENHEIMER: System III, Theorie, S. 162 und 164.
[220]
„Der erste geniale Führer dieser neuen Klasse, FERDINAND LASSALLE, selbst vom Ursprung aus Liberaler vom reinsten Wasser, klopfte an die Tore der Fortschrittspartei. Wäre sie liberal, und keine einseitige Vertretung der Meisterklasse gegen die Gesellenklasse gewesen, so hätte man ihm die Arme weit geöffnet. Aber man stieß ihn mit Zorn und Hohn zurück. Man ächtete und verfolgte ihn, man sprengte seine Veranstaltungen und überzeugte derart die Arbeiter praktisch, daß sie gegen den Liberalismus sich emporarbeiten müßten, da es mit dem Liberalismus nicht anging.“ FRANZ OPPENHEIMER: Die Niederlage des deutschen Liberalismus. In: Freistatt, Kritische Wochenschrift für Politik, Literatur und Kunst, München, 5. Jg., H. 31 vom 1. 8. 1903, S. 603 - 604.
[221]
WILHELM RÖPKE: Die Gesellschaftskrisis der Gegenwart. 4. Aufl., Erlenbach-Zürich 1942, S. 301 f.
[222]
FRANZ OPPENHEIMER: System I, Soziologie, S. 48.
[223]
FRIEDRICH JONAS: Geschichte der Soziologie 1, 2. Aufl., Opladen 1980, S. 119 f.
[224]
GEORG MAYER: Die Freihandelslehre in Deutschland. Jena 1927, S. 17 f.
[225]
Fußnote im Zitat: „JOSEF EDMUND JÖRG: Geschichte der sozialpolitischen Parteien in Deutschland, Freiburg 1867, bes. S. 20 ff.“
[226]
JAMES J. SHEEHAN: Der deutsche Liberalismus. Von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg. München 1983, S. 190.
[227]
LUDWIG VON MISES: Liberalismus -Eine Erfolgsbilanz. In: Friedrich-Naumann-Stiftung (Hg.): Kleines Lesebuch über den Liberalismus. Ausgewählt, eingeleitet und kommentiert von DETMAR DOERING. Sankt Augustin 1992, S. 15 -23, hier S. 21.
[228]
DETMAR DOERING: Liberalismus -Ein Versuch über die Freiheit. Zum Programmentwurf »Bürger zur Freiheit«. In: Liberal, Heft 1/1993 S. 90 -102, hier S. 95.
[229]
Eine grundsätzliche Aufarbeitung dieses Denkproblems geben PAUL WATZLAWICK u. a.: Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels. 3. Aufl., Bern u.a. 1984.
[230]
„Es kostet kaum mehr geistige Anstrengung, immer gerade das Gegenteil des Vorgetanen oder Vorgedachten zu tun oder zu denken, als es einfach nachzuahmen. Sie ist das photographische Negativ der Aufklärung, etwa wie der Kommunismus das Negativ der Bourgeoisökonomik, oder der Zionismus das Negativ des Antisemitismus ist.“ FRANZ OPPENHEIMER: System I, Soziologie, S. 5. Ausführlichere Darstellung TARDES siehe System I, S. 478 f. Original: GABRIEL TARDE, Lois de l'imitation, Paris 1911.
[231]
Um die Denkfigur zu gewinnen, erinnere man sich an eine Rundfunksendung mit Telefoninterview, bei dem der Gesprächspartner das Radio im Hintergrund laufen läßt. Durch die Rückkopplung wächst das Signal »gegen Unendlich« an, und es entsteht ein schriller Pfeifton. Dieser Figur entspricht das Prinzip »Macht gebiert Mehr-Macht«, in dem ebenfalls etwas aus sich heraus zu einer Potentialanhebung führt.
[232]
Siehe weiterführend ERICH PREISER: Grundzüge der Konjunkturtheorie. Tübingen 1933.