3.4. Die Konsumgenossenschaften

In der emanzipatorischen Frauenbewegung wird gerne ein Gegensatz zu Männervereinen mit der Formulierung ausgedrückt: Es gibt bei uns keine »Macherinnen«. Gemeint wird, daß keine Frau sich vor die andere dränge und dieser damit ihre Entwicklungsmöglichkeiten schmälere. Diese Werthaltung führt allerdings nicht dazu, daß es keine Macherinnen gibt, sondern daß alle zu (gleichberechtigten) Macherinnen werden. Das heißt: Die Entwicklung, die durch das Gruppenselbstverständnis gefördert wird, ist eine der Aktivierung ihrer Mitglieder. Um das Wachstum der noch unentfalteten Genossinnen zu unterstützen, muß eine starke Genossin auch mal ihre Selbstverwirklichungsinteressen zurückstellen. Wenn aber eine breit gestreute Aktivierung aller Mitglieder erreicht worden ist und Macherin neben Macherin steht, dann erhöht dies die Leistungskraft der ganzen Gruppe.

Warum steht diese Bemerkung ausgerechnet einleitend bei den Konsumgenossenschaften, wo doch die »Geschichten großer Männer[517]« bei allen Genossenschaftsarten (und auch nichtgenossenschaftlichen Unternehmen) dominierend sind? Die Plazierung an diesem Ort hat zwei Gründe:

1.: Wir finden bei den Konsumgenossenschaften positive Ausnahmen von der Regel, die einer besonderen Hervorhebung wert sind. Neben den Rochdaler Pionieren, die als Gruppen-Vorbild in die Literatur eingegangen sind, gab es in [S. 269] Deutschland beispielsweise einmal die an Rochdale orientierte und sehr erfolgreiche Hamburger »Produktion«.

2.: Das Funktionieren (nicht die Gründung) von Genossenschaften beruht weniger darauf, welcher konkrete Macher sich wann eine Konzeption ausdenkt und in die Tat umsetzt, als vielmehr darauf, ob die Gruppe einen gruppendynamisch tragfähigen Modus ihrer Selbststeuerung und Selbstaktualisierung entwickelt.

Zu 1.: Die Wechselfälle konsumgenossenschaftlicher Erfolgsgeschichte zeigen, daß die Institution »Genossenschaft« Resultat einer mehr oder weniger abgestimmten Interessenformation ist, die letztlich über die Stabilität der Genossenschaft als Ganzes entscheidet. Ein in der Literatur vorhandenes und mit den Begriffen »Demokratieprinzip« bzw. »Konsensprinzip« ausgedrücktes Problembewußtsein bezüglich des Regelbildungsprozesses deutet nur an, daß es in allen Gruppen konfliktträchtige Situationen gibt[518], die als typische Probleme erkannt und bewußt gehandhabt werden müssen. Insofern erfordert die Genossenschaft, unterschwellige Prozesse ins Bewußtsein zu heben, damit entlang rational akzeptierter Kriterien über Sachverhalte entschieden werden kann. Die Genossenschaft ist nur als hochrationale Unternehmung denkbar, denn der Freiheitsgrad ihrer Mitglieder läßt nur wenig Raum für Interessenverletzungen. Über »das was geht« und »das was man möchte« müssen Bewußtwerdungsprozesse stattfinden, die man mit (Heran-)»Bildung« im engeren und weiteren Sinne gleichsetzen kann.

„Die Bildungsbemühungen der Genossenschaften haben eine lange Geschichte. Sie richteten sich zunächst auf eine Anhebung der allgemeinen Volksbildung und erst später auf die Schulung von Mitgliedern und Mitarbeitern der Genossenschaften. Ihre Ursprünge lagen in Großbritannien. Das siebente der Prinzipien, die sich aus der 1844 in Rochdale gegründeten Konsumgenossenschaft nachweisen lassen, forderte ausdrücklich die Förderung der genossenschaftlichen Fortbildung (promotion of education). Die Aktivitäten vollzogen sich auch in der Folgezeit zunächst noch im Rahmen der lokalen Konsumgenossenschaften und waren noch nicht nach einem einheitlichen Plan ausgerichtet. So gab es um 1880 in 120 englischen Konsumgenossenschaften Lesesäle, und es bestanden etwa 100 genossenschaftliche Büchereien.“[519]

Die Folge dieser Haltung war, daß sich über die Konsumgenossenschaften einst viele am Genossenschaftsgedanken interessierte Menschen mit geringem persönlichen Risiko dem Genossenschaftswesen nähern konnten. Wohl hatten die Kreditgenossenschaften meistens mehr Mitglieder aufzuweisen, doch gab es in den Konsumgenossenschaften Gelegenheiten zur aktiven Mitarbeit unterhalb der Expertenschwelle. Über die Konsumgenossenschaften traten die meisten Arbeiter dem Genossenschaftswesen als Bewegung bei und erlebten es aus nächster Nähe.

„So war es den Konsumvereinen möglich, Kerngruppen von überzeugten Genossenschaftlern zu bilden, die bereit waren, für den Genossenschaftsgedanken und für ihren Konsumverein zu werben, zu »agitieren«, wie man damals sagte. Diese freiwilligen [S. 270] »Mithelfer« waren eine Brücke zwischen den Vorständen der Konsumvereine und den Mitgliedern. (...) Natürlich war es immer nur ein kleiner Teil der Mitglieder, der sich aktiv für die genossenschaftliche Sache einsetzte, aber dank der Aktivität dieser Mitglieder wuchs die Zahl der überzeugten Genossenschaftler.“[520]

Die starke Hamburger »Produktion« hatte neben aller Güterversorgung eine klare emanzipatorische Botschaft: Zupacken! Mitmachen! Selbstbewußtsein zeigen! Gemeinsam etwas erschaffen! Die Konsumgenossenschaft förderte nicht das leibliche Wohl alleine, sondern gab ihren Mitgliedern eine Chance, die passiv-erduldende Lebenskonzeption gegen eine aktiv-handelnde einzutauschen. Und mit jedem Mitglied, das durch die Genossenschaft zu einer aktiven Haltung gegenüber dem Leben gehoben wurde, hob die Genossenschaft sich selber und gewann einen wertvollen Mitstreiter, eine wertvolle Mitstreiterin[521].

Zu 2.: Die Konsumgenossenschaftsbewegung verzeichnet in Deutschland eine kontinuierlich rückläufige Tendenz[522]. REWE und EDEKA lassen sich als Einkaufsgenossenschaften der Einzelhändler höchstens randständig einer »sozialen Bewegung« zuordnen. Sie erfüllen im Wettbewerb des Handels wichtige Funktionen, aber sind a priori nicht »erzieherischer« Teil einer »Genossenschaftsbewegung von unten«, sondern Mittelstandssicherungshilfe.

Auch die neu entstehenden Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften[523] verstehen sich in der Regel nicht als »Erzieher«. Sie sind es aber in der Praxis doch, weil die Mitglieder alle anfallenden Arbeiten selber leisten und somit aktiviert werden. Der Informationsaustausch führt ferner zu freiwilligen, durch Einsicht zustande gekommenen Erkenntnissen, die in Verhaltensänderungen münden. Das heißt, es gibt keine »Erziehung« im Sinne von Besserwisser und Erziehungsobjekt, sondern ein sozialer Mechanismus bindet den sonst isolierten Menschen ein und verändert dessen Sicht in einem realitätsverändernden, dynamischen Prozeß. [S. 271]

Die These bezüglich der Konsumgenossenschaften lautet nun, daß sie aus zwei Gründen bestehen können: Einmal aus klassisch-ökonomischen Motiven, für die kennzeichnend Wettbewerbsbedingungen, Preise und Produktqualitäten stehen. Und zweitens als Begegnungsstätten, in denen Menschen das, was sie alle zwangsläufig betrifft, nämlich die Verbrauchsgüterbeschaffung, gemeinsam diskutieren und organisieren (sozialer Aspekt).

Indem sich Personen zum Zwecke der Verbrauchsgüterbeschaffung an einem Ort treffen und tätig werden, fast völlig gleich in welcher Form, überschreiten sie die Grenze ihres singularen Haushaltes und bilden eine soziale Gruppe. Indem die Gruppe entsteht, entstehen mit ihr automatisch gruppenfunktionale Werthaltungen. Nach OPPENHEIMER ist die Käufergenossenschaft eine Einrichtung der tendenziellen Harmonie, weil sich mit jeder/jedem hinzutretenden Genossin/Genossen die Nachfragemacht der Gruppe erhöht und damit der Gesamtnutzen und Einfluß des Verbandes, der dem einzelnen wieder zugute kommt[524]. Die Konsumgenossenschaft ist von allen Genossenschaftsarten die organisatorisch unproblematischste und somit geeignet, um »Genossenschaft« in einem relevanten Lebensbereich zu realisieren. In ihr können demokratische Spielregeln erprobt werden, die bei schwierigeren Genossenschaftsarten besser bereits eingeübt sind. Ohne daß die Konsumgenossenschaft sich als »Schule« mit missionarischem Auftrag verstehen muß, reift in ihr doch ein Potential heran, das geeignet ist, über den konsumgenossenschaftlichen Ursprung hinauszuwachsen. Wichtig wäre, daß die Konsumgenossenschaft als ein Ort der Begegnung verstanden wird und somit ein Raum für bestimmte Lernerfahrungen entsteht. Sieht sich die Konsumgenossenschaft lediglich als preisorientierter Lebensmitteldistribuent und wird entsprechend zentralistischhierarchisch organisiert wie andere Wirtschaftsunternehmen, dann ist der beschriebene Raum bestenfalls noch geduldetes Anhängsel und Restposten eines alten Selbstbildes, nicht aber mehr Quelle und Standbein der eigenen Organisation oder Bewegung.

Das klassisch-ökonomische Motiv der Genossenschaftsentstehung, das Einbrechen in monopolisierte Marktsegmente und die Erhöhung des Wettbewerbes zugunsten der zuvor sozial unterlegenen gesellschaftlichen Klasse, wird die Konsumgenossenschaft in Deutschland gegenwärtig kaum tragen können, da der Wettbewerb trotz Marktkonzentration hoch ist[525]. Dieser für den Verbraucher preislich günstige Zustand kann selbstverständlich irgendwann wieder umschlagen und dann auch eine ökonomische Renaissance der Konsumgenossenschaft hervorbringen. Als »Überwinterungsstrategie« könnte es günstig sein, im Wettbewerb gleichgünstige Preise anzustreben und eine Mehrleistung oder »Förderung« als genossenschaftliche [S. 272] Kultureinrichtung zu organisieren. Das hieße, Formen des genossenschaftlichen Miteinanders zu pflegen, Menschen aus ihrer privaten Begrenzung herauszulocken und Gemeinschaften entstehen zu lassen, deren Aktivität einer Wiederbelebung genossenschaftlicher Initiativen gleichkäme.

Indirekt enthält der Gedanke eine Kritik gegenüber allen Entfremdungs-und Ökonomisierungstendenzen des konsumgenossenschaftlichen Bereiches. Wirtschaftlichkeit ist die unabdingbare Randbedingung für ein gestaltungsbedürftiges Mehr. Die zweite Säule der Konsumgenossenschaft, das Soziale, ist nicht nur kostende Begleitmusik, sondern Teil der einträglichen Melodie. Ohne Not und möglicherweise schlechtem Rat folgend, wurde sie vielerorts eingerissen. Wenn die Konsumgenossenschaften auch die wirtschaftlichen Leistungen anderer Anbieter kaum überbieten können, haben sie dennoch eine reale Chance, anders zu sein, ein Profil zu entwickeln, für etwas zu stehen und im Konzert der Genossenschaften ein wichtiges Instrument zu spielen.

3.4.1. Der Absatzweg in der Marktwirtschaft

Im Zuge der deutsch-deutschen-Einheit zeigte sich einmal wieder selbst für Laien verständlich, daß der Weg zum Endverbraucher letzter Zweck (oder Engpaß) aller Produktion in der Marktwirtschaft ist. Sofort bemühten sich die Verkaufsunternehmen um Fillialbetriebe im Osten, und überall entstanden Auto-, Bau-und sonstige Märkte. Gleichzeitig scheiterten viele ostdeutsche Produktionsbetriebe, weil ihnen ihre Absatzwege wegbrachen. Gewiß, manch ein Produkt entsprach nicht dem Geschmack des Käufers und paßte so nicht durch den »Flaschenhals« des Absatzes. Aber selbst Milch -und Kuh ist Kuh -konnte plötzlich nicht mehr »an den Mann gebracht« werden, weil Westunternehmen die Absatzwege schneller übernahmen, als die Ostbürger lernen und sich wehren konnten. Will sagen: der Absatz ist ein Engpaß, und zwar, wie die Theorie des kapitalistischen Krisenzyklus (↑ 219 ff) veranschaulicht hat, ein kritischer!

Der Druck oder »Wettkampf« der um Absatz bemühten Unternehmen entsteht dabei nicht lediglich über die Qualität eines Produktes, sondern ist ein darüber hinausgehender, weil stets ein »Zuviel« an Produkten um ein »Zuwenig« an Kaufkraft ringt. Die Produktivgenossenschaften haben diese bittere Wahrheit sehr früh lernen müssen. Wenn sie das Problem des »Absatzes« beklagen, dann wurde damit nicht etwa gemeint, daß ihre schlechten Produkte im Wettbewerb keinen Weg zum Kunden fanden, sondern gemeint war, daß den Organisatoren der Absatzwege eine gewisse ökonomische Macht zukommt. Macht hatten die Produktivgenossenschaften in ihrer jungen Geschichte jedoch keine, und alle Handelsorganisationen lagen in den Händen ihrer Klassengegner.

Der Knoten konnte gesprengt werden, weil sich die Macht in Preisen niederschlug (Monopolaufschläge), die es lohnend machten, bei geringem Risiko eigene Käufergenossenschaften zu gründen. Der Verlust des Endverbrauchers an Gütern, [S. 273] die die-ser nicht erwerben konnte, weil die angebotenen Güter zu hohe Aufschläge enthielten, brach das Absatzproblem schließlich von unten her auf und erreichte von dieser Seite die Produktivgenossenschaften, die erst Zulieferer der Konsumgenossenschaften waren und später häufig von diesen übernommen wurden.

Hinter den Dingen stehen interessante Wechsel von Käufer-und Verkäufermärkten, die das Schicksal der Konsumgenossenschaften bis heute bestimmen. Denn zu dem Zeitpunkt der ersten aufkommenden Konsumgenossenschaften bewegten sich diese als Käufergenossenschaften auf einem klassenmonopolistisch besetzten Marktsegment. Es war entstanden während einer Periode absoluter Knappheit, als das Geschehen insbesondere auf dem Lebensmittelmarkt von den Verkäufern bestimmt werden konnte. Die Geschichte Europas kennt eine endlose Kette von Hungerkrisen[526]. Das heißt, die Lebensmittel waren knapp aus Gründen, die der Handel selber nicht zu verantworten hatte, und entsprechend fehlte der Wettbewerb oder Angebotsdruck in diesem Marktsegment.

„Als die ersten Konsumgenossenschaften gegründet wurden, war das Bild des deutschen Einzelhandels gekennzeichnet durch den kleinen selbständigen Einzelhändler, der seinen Betrieb so führte, wie sein Vater ihn geführt hatte. (...) Die Läden waren mit wenigen Ausnahmen klein und auf das einfachste eingerichtet. Da die Umsätze nicht groß waren, mußte die Spanne hoch sein, um dem Händler eine standesgemäße Nahrung zu sichern.“[527]

VAHAN TOTOMIANZ stellte dazu einige Texte zusammen, die die Situation näher schildern:

„GUSTAV MAIER[528] hat berechnet, daß der zwischenhändlerische Preisaufschlag für Deutschland im Mittel 50 v.H. beträgt. Der Jahreskonsum macht 8 Milliarden Mark aus; davon entfallen 2,7 Milliarden auf den Zwischenhandel. Das erscheint nicht zu hoch gegriffen; hat doch schon in der Mitte des XIX. Jahrhunderts CHEVALIER die vom Kleinhandel dem französischen Volke auferlegte Last auf 4 Milliarden Frances, d. i. die Hälfte des Gesamtkonsums, geschätzt. (...) Der jährliche Unternehmergewinn erreicht nach G. MAIER in Deutschland nur 300 Millionen, also die Hälfte des Profits der Zwischenhändler. Jede der 6 Millionen städtischen Familien verbraucht jährlich für 1000 Mark; davon verbleiben nur 37 Mark in den Händen der Unternehmer, und 333 Mark sind Handelsprofit. Von dem 500 Mark betragenden Jahreskonsum jeder der 4 Millionen ländlichen Familien verblieben den Produzenten je 18 Mark, den Zwischenhändlern volle -166 Mark. Der Kaufmann UHLENHORST hat berechnet, daß in Deutschland jährlich rund 6 Millionen Kistchen Zigarren hergestellt und in den Handel gebracht werden; sie werden von den Rauchern mit 300 Millionen Mark bezahlt. Davon entfallen auf die Tabakpflanzer, auf die ersten Vermittler zwischen ihnen und der Fabrik, auf den Transport, auf die Zigarren-und Kistenfabrikanten und ihre Arbeiter, auf die Lieferanten der Etiketten, Umschläge und Nägel und schließlich -als zehntes Glied dieser Kette -auf den Transport zu den Verkaufsläden rund 144 Millionen Mark, während 156 Millionen, [S. 274] also mehr als die Hälfte, den Detailverkäufern bloß dafür zufallen, daß sie den Konsumenten 6 Millionen Kistchen übermitteln. 200.000 mehr oder weniger nützliche Arbeiter werden mit 144 Millionen Mark entlohnt, und volle 156 Millionen verschlingt ein Schwarm von Drohnen[529]!“[530]

Gegen TOTOMIANZ möchte ich einwenden, daß der Begriff »Profit« das Problem noch nicht vollständig trifft, denn erstens setzten die Händler auch ihre Arbeitszeit ein, außerdem verfügten sie nur über geringe Vermögenswerte, die als »Profit abwerfendes Kapital« verstanden werden könnten. Andererseits war es für die Konsumgenossenschaften ein leichtes, das Zigarrenkistchen selber zu überreichen und dabei die Händlerspanne großteils einzusparen. Dabei unterschied sich der Verteilungsmodus des Konsumvereins von dem des Einzelhandels nur dadurch, daß der Konsumverein eine bekannte Mengennachfrage seiner Mitglieder konzentriert beschaffte und ohne großen Verkaufsaufwand weitergab, während der Einzelhandel viel Energie darauf verwendet hat, auf Kundschaft zu warten und unbestimmte Mengen zu bevorraten. Was sich an Preisunterschieden über die effizientere Methode des Konsumvereins hinausgehend ausmachen läßt, fällt in die Rubrik »Klassenmonopol«. Es ist nicht »Wirtschaftsmonopol«, denn dafür gab es zu viele Händler. Es ist auch nicht »Kapitalprofit«, denn dafür waren die eingesetzten Kapitalien zu gering; die Genossenschaften konnten sie mit kleinen Einlagen leicht aufbringen. Es ist als die über das politische System und die staatliche Machtvollkommenheit gesicherte Erwerbsstruktur einer gesellschaftlichen Klasse, gegen die die Genossenschaften alsbald nach allen Regeln der Kriegsführung in den Kampf zogen und ihrerseits bekämpft wurden.

Den Händlern war die Bedrohung ihres Standes und ihrer Existenzgrundlage sofort klar. So verbissen, wie nur ein Mensch reagiert, dem die Existenzgrundlage streitig gemacht wird, versuchten die Händler, die Konsumgenossenschaft zu verhindern. Davon weiter unten mehr. Wir wollen hier zunächst festhalten, warum die Konsumgenossenschaft mit fairen wirtschaftlichen Mitteln des Wettbewerbes nicht aufgehalten werden konnte, sondern erst die politische Waffe, das heißt der Gesetzgeber im NS-Staat und in der Bundesrepublik im Anschluß, die Konsumgenossenschaft als Wettbewerber wieder ausschalten konnte.

Der Verkäufermarkt im Angesicht der europäischen Hungerkatastrophen war umgeschlagen in einen latent kapitalistischen Markt mit hinreichender Mengenproduktion und typischem Flaschenhals-Syndrom: viele Produkte, die mangels Kaufkraft nicht abgesetzt werden konnten. Woran es fehlte, war der Käufer. Es macht aber einen Unterschied, ob knappe Güter ihren Käufer suchen und die Preise der Verkäufer Ausdruck einer Mangellage sind, oder ob ein Güterüberschuß dem Verkäufer keinen Knappheitspreis, sondern nur die Erstattung seiner Selbstkosten plus zugefügtem Wert seiner Händlerleistung gewährt. Würde er diesen Preis überschreiten, wäre sein Absatz bedroht, und die Ware könnte verderben, weil ein [S. 275] möglicher Konkurrent seine Leistung eben zum Selbstkostenpreis plus Lohn für die Händlertätigkeit abzugeben bereit ist. Diese Konkurrenz haben sich die Einzelhändler untereinander nicht geboten, obwohl natürlich auch ein Händler damit hätte beginnen können, die heute üblichen Handelsketten aufzubauen und Discountläden einzurichten. Aber die Warenhäuser, die diesen Weg einschlugen, waren nicht minder erklärte Feinde des Einzelhandels, und der Stand der Einzelhändler als solcher war sich in seinen Verhaltensmaximen weitgehend einig. Eine keineswegs ungewöhnliche Erscheinung, wie wir sie bei Gruppen mit gleichgelagerten Interessen (Großgrundbesitzern, Vermietern, Banken, Arbeitgebern, Staatsdienern etc.) häufiger antreffen. Erst das Eindringen einer anders motivierten Gruppe in derart verfestigte oder tradierte Strukturen führte einen vom ökonomischen Standpunkt schon lange fälligen Wandlungsprozeß herbei. Und dieses »andere Interesse« verkörperte die Bewegung der Konsumgenossenschaft, als die Händlerspanne als überwindbares Übel irgendwann erkannt wurde.

Dabei hat sie mit ihrem Auftreten weit mehr bewirkt als lediglich die verbesserte Versorgung ihrer Genossen. Sie steht am Anfang einer gänzlichen Umstrukturierung des Handels mit dem Effekt, daß die Haushalte einen sinkenden Einkommensanteil für ihre Grundbedürfnisse des Konsums ausgeben müssen und ein vergrößerter Einkommensanteil in die Nachfrage nach höheren technischen Produkten fließt. Man neigt schnell dazu, Deutschland als Industrienation zu begreifen, weil technische Konsumgüter, z.B. Autos, als Leistungsmerkmale den Unterschied gegenüber weniger entwickelten Wirtschaftsgesellschaften verdeutlichen. Wenn aber in Deutschland die Lebensmittel so teuer wären wie in anderen europäischen Ländern (siehe z.B. Irland), dann wäre die Nachfrage nach technischen Konsumgütern deutlich geringer und die Industrien entsprechend geringer entwickelt. Die effiziente Versorgung mit Gütern des Grundbedarfes hat so herum betrachtet einen größeren Anteil an dem Wohlstand und der Entwicklung einer Industrienation, als man auf den ersten Blick erkennt. Daß die Konsumgenossenschaft mit wirtschaftlichen Mitteln eine »Entpolitisierung« der Handelswege herbeiführen konnte und Produktivgenossenschaften fortan eine faire Chance hatten, ihre Produkte an den Endverbraucher zu bringen, ist ein günstiger Nebeneffekt.

Bleiben wir einen Moment bei den Begriffen »Ökonomie« und »Politik«. Die »Politik einer herrschenden Klasse« hat in der Ökonomie nichts zu suchen. Wirkt sie doch, so schmälert sie den Wohlstand einer Nation. Die »Politik einer unterdrückten Klasse« kann nur darauf hinauslaufen, einen Zustand der Chancengleichheit herbeizuführen. Würde sie über das Ziel hinausschießen, würden aus den ehemals Unterdrückten neue Unterdrücker. Chancengleichheit lautet das Gebot, und um diese herzustellen, muß man sich politisch wirksam verhalten können, auf jeden Zug der herrschenden Klasse mit einem Gegenzug antworten. Das heißt, die entpolitisierte Ökonomie ist nicht Weg, sondern Ziel. Wer eine unterdrückte Klasse entpolitisiert, politisiert das Ganze der Ökonomie und umgekehrt. Der scheinbare Widerspruch löst sich auf, wenn man das Wirtschaftssystem als abhängige Variable des Gesellschaftssystems begreift und die »reine« Ökonomie als Resultat eines in seinen gegeneinanderstehenden Kräften ausgeglichenen Gesellschaftssystems [S. 276] ver-steht. Denn die herrschenden Klassen werden sich nicht beseitigen, sondern in ihrer Wirkung nur neutralisieren lassen. Endprodukt der Gegenwehr ist, daß beispielsweise niemand mehr den Staat einspannen kann, um sich Wettbewerber vom Halse zu halten. Die Geschichte der Konsumgenossenschaften gibt ein anschauliches Beispiel dafür, was ein befreiter Wettbewerb zu leisten vermag und wo die Konfliktlinien auf dem Weg dorthin liegen.

3.4.2. Die Stellung des Verbrauchers am Markt

„Vor hundert Jahren schrieb Abbé Siéyès den Satz, der Signal zur Revolution wurde, deren hundertjährigen Gedenktag wir in diesem Jahre (1889) feiern: -Was ist der dritte Stand? Nichts. Was muß er sein? Alles. Jetzt ist die Zeit gekommen, dieses berühmte Wort wieder aufzunehmen und etwas geändert zum Programm einer neuen Revolution zu machen. Was ist der Verbraucher? Nichts. Was muß er sein? Alles. -Ja, der Verbraucher sollte Alles sein, die Gesellschaft ist für ihn da. Wir alle sind da, um zu verbrauchen. Der Verbrauch ist Zweck und Ziel der ganzen Wirtschaft: die Erzeugung ist nur das Mittel. Bei einer gut geregelten Ordnung der Dinge muß die gute Erzeugung dem Verbrauch dienen, aus dem gleichen Grunde, wie die Arme dem Magen zu Diensten stehen: Jede Gesellschaft muß untergehen, in der diese Ordnung der Dinge ins Gegenteil gekehrt ist.“ (CHARLES GIDE[531])

Die Aktualität des von CHARLES GIDE gehaltenen Plädoyers für die Konsumentensouveränität, deren Realisierung GIDE als herausragender Theoretiker der Konsumgenossenschaftsbewegung verfolgt hat, wird heute von zwei Seiten trotz des harten Preiswettbewerbes des Handels bestätigt. Nachfolgende Zitate zeigen, daß es ein Sinn-Problem trotz optimaler Preise geben kann, rationelles und rationales Wirtschaften also nicht unbedingt identisch sind.

„Dem Idealbild der »Konsumfreiheit«, wie es uns Hersteller und Anbieter ausmalen, wird das Zerrbild vom »Konsumterror« und vom »Konsumidioten« gegenübergestellt. Wer immer auf Parteitagen, gegenüber Gewerkschaften oder in einer Runde von Müttern kleiner Kinder etwas gegen die Wirkung verdummender Werbung sagt, kann dafür reichen Beifall ernten: kritische Mitbürger sind zwar nicht immer sachkundig, aber sie sind sich doch einig darin, daß sie den Machenschaften der Produzenten und Anbieter und ihren Werbetrupps als mehr oder minder machtlose Verbraucher ausgeliefert sind. Und dabei gleicht die sicht-und hörbare Werbung unter den Absatzstrategien nur der Spitze eines Eisberges.“[532]

Man kann an dieser Stelle bereits einfügen, daß ein bewußter Umgang mit Gütern reflektierter Informationen bedarf. Einziger Informationsanbieter in unmittelbarer Nähe des Produktes ist aber der Produzent, der parallel zu seiner Güterproduktion zielgerichtet Symbole und Sprache modulieren läßt, damit sein Produkt im Kampf gegen andere Produkte gewinnt. Angesetzt wird dabei meistens bei dem [S. 277] Bedürfnis jedes Menschen nach sozialer Hochgeltung sowie die Suggestibilität des Menschen über die Figur des »generalisierten Anderen«. Das heißt: Werbung setzt wie sonstige Propaganda an der sozialen Orientierung des Menschen an -verschleißt diese -und konstruiert mit einem bestimmten Energieaufwand ein »Man«. Was »man« denkt, was »man« trägt, was »man« als gute oder standesgemäße Lösung eines Bedürfnisses annehmen darf oder nicht. Der mechanische Hintergrund der Werbung oder Massensuggestion ist, daß der natürliche Meinungsbildungsprozeß durch stärker präsente Medien überlagert wird. Eine natürliche Meinung bildet sich in sozialen Gefügen, indem Personen mit Sachverhalten Erfahrungen sammeln und diese Erfahrungen im Gespräch weitergeben. Man redet eben, fragt nach und probiert aus. Mit der Zeit entstehen so mehr oder weniger begründete (Vor-)Urteile, eben das, was »man« denkt. Werbung oder Propaganda kommt den Erfahrungen und dem Gerede zuvor. Sie sagt was ist, bevor der Kunde selber denkt. Weil aber die Beschaffung von Informationen immer mit Kosten (Aufwand) verbunden ist und der Kunde (Empfänger der Massenbotschaft) bereits vor jeder Erfahrung die Idee einer möglichen Erfahrung angenommen hat, steigt die Wahrscheinlichkeit, daß eine eingepflanzte Idee umgesetzt wird, bevor neutrale Informationen eingeholt oder ein Vergleich zwischen Produkten angestellt wird.

Werbung darf natürlich aus eigenem Interesse nicht soweit gehen, daß der Kunde grob belogen wird. Was versprochen wird, muß im Rahmen des Glaubhaften liegen, schon alleine, damit die enttäuschten Kunden keine Negativ-Äußerungen in die Welt setzen. Aber Enttäuschung und Ärger sind eine hohe Schwelle, bis zu der hin vieles gemacht werden kann. Denn in der Regel wird jede Handlung des Menschen begleitet von dem Vorgang des »nachträglichen Rationalisierens«, das heißt, daß der Mensch nach einer vollzogenen Handlung von sich aus beginnt, die Richtigkeit seiner Handlungen zu begründen[533]. Wer also erst einmal eine bestimmte Zahnpasta gekauft hat, findet diese im nachhinein mit hoher Wahrscheinlichkeit völlig unabhängig von der Werbung gut, eben weil er sie gekauft hat. Der Mensch ist suggestibel und gesteht es sich nicht ein![534] So wird die Arbeit der Werber eine [S. 278] runde Sache, die zumindest bei den vielen Kleinigkeiten des täglichen Lebens schnell getaktet passiert, ohne daß der (nach Trägheit strebende bzw. Aufwand minimierende) Kunde eine Chance hat, nach Sinn-Kategorien entscheidend zu handeln.

Was dabei herauskommt, ist nicht nur eine Unbewußtheit der Wahl bei den Produkten, sondern die Produzenten diktieren gleichsam einen absatzorientierten Lebensstil. Bei obigen Zitat von GIDE fällt für unsere Zeit unangenehm auf, wie nachdrücklich der Verbrauch zum Ziel gesetzt wird. Man kann diese Formulierungsschwäche angesichts der allgemeinen Mangellage vor 100 Jahren entschuldigen und ergänzen, daß schon damals der Kampf gegen verfälschte Lebensmittel und minderwertige Waren Teil der Konsum-Bewegung war, es also nicht nur um Mengen, sondern auch um Qualitäten ging. Ein heute vielleicht noch stärker eingeforderter qualitativer Strukturwandel in Konsum und Produktion[535] erfordert dennoch unverändert die von GIDE beschworene Konsumentensouveränität, und zwar realweltlich (nicht nur ideologisch[536]). Konsumtionsseitig haben wir die Probleme bereits benannt. Aber für das, was der Mensch konsumiert, muß er vorher arbeiten. Und so trifft ihn sein Verbrauchsproblem zweifach: einmal in dem Akt des unmittelbaren Verbrauches, und zum anderen bei der dem Verbrauch vorausgehenden Gegenleistung. Hierzu nun eine Textstelle von KARLHEINZ A. GEIßLER, der sich dem Thema »Verbrauch« aus Sicht der Arbeit nähert:

„Arbeiten heißt, Güter für den Verbrauch produzieren. Die Arbeit erzeugt Konsumgüter, die nur eine »flüchtig vergängliche Festigkeit«[537] besitzen, denn consumere heißt nichts anderes, als verbrauchen, aufbrauchen, zerstören, vernichten. Wir sind Verbraucher, und so nennen wir uns ja folgerichtig auch, nicht Gebraucher. Sogar die Zeit, Medium [S. 279] unseres Lebens, verbrauchen wir, oder besser wir verfallen der Illusion, es tun zu können. Wirklich aber verbrauchen wir nicht die Zeit, sondern uns in der Zeit. Arbeit ist Naturverzehr, und auf das Individuum bezogen, Verzehr von Lebenskraft. Der Mensch ist im Arbeitsprozeß nicht Person, sondern animal laborans: ein sich mühendes Tier, das nie fertig wird, das jeden Tag von Neuem das aufräumen muß, was der gestrige Tag in Unordnung gebracht hat. Die Arbeit besteht in einem immer rascheren Hervorbringen von Dingen, deren Zweck sich eben genau darin selbst erschöpft.
HANNAH ARENDT: »Das Funktionieren der modernen Wirtschaft, die auf Arbeit und Arbeiten abgestellt ist, verlangt, daß alle weltlichen Dinge in einem immer beschleunigteren Tempo erscheinen und verschwinden; sie würde sofort zum Stillstand kommen, wenn Menschen anfangen würden, Dinge in Gebrauch zu nehmen, sie zu respektieren und den ihnen innewohnenden Bestand zu erhalten« (S. 115).
Die Arbeitsgesellschaft ist Produktionsgesellschaft, sie legitimiert sich als Produktionsmaschinerie, der der Mensch als Funktion, nicht als Person, zugehört.“[538]

Wenn der Mensch willig sein Leben hingibt im Schein eines materiell definierten »Glückes«, dann läuft er Gefahr, wie ein sich mühendes Tier eigenen Zielen folgend doch ungereift zu altern. Seinen Nachbarn führt er stolz die gesellschaftlich anerkannten Leistungen vor (Haus, Auto, gut erzogene Kinder, Hautbräune nach Jahresurlaub etc.) und träumt gleichzeitig von der einsamen Insel, auf der es buchstäblich nichts von alledem gibt. Der Mensch denkt nicht, sondern ist ein Reflex des ihn umgebenden sozialen Mediums. So lautete die radikale Position von GUMPLOWICZ[539]. Das aber heißt, innerhalb einer bestimmten kulturellen Normalität kann der Einzelne gar nicht anders, als dem Glück auf Wegen nachzujagen, die ihm als Wege zu denken vorgegeben sind. Wenn Jugendliche in der für sie besonders kritischen Lebensphase, in der sie für sich die Frage nach Identität und Sinn beantworten müssen, diese kulturelle Normalität nachhaltig ablehnen[540], ist dies ein Indiz dafür, daß die kulturelle Normalität weder Identität noch Sinn stiftet, die Gesellschaft also inkonsistenten Zielen nachjagt. Leben ist nicht Leben, sondern Verbrauch von Leben, wie sich GEIßLERs Hinweis verdichten ließe.

Wir lernen in unserer Gesellschaft nicht, Aufwände und Erträge in Lebenszeit zu berechnen. Die Werbung pflanzt uns Konsumstandards ein, deren Erfüllung uns wie ein Hamster in seinem Laufrad Kilometer laufen läßt, ohne daß wir etwas von der Welt sehen bzw. erleben, was wir uns eigentlich wünschen. PAUL WATZLAWICK schreibt dazu:

„Die Erkenntnisse des Konstruktivismus haben nicht nur den höchst wünschenswerten Vorteil, neue, wirkungsvolle Therapieformen zu ermöglichen -wie alles Heilende können sie auch mißbraucht werden. Werbung und Propaganda sind zwei besonders abstoßende Beispiele dafür. Beide versuchen bewußt, Einstellungen, Annahmen, Vorurteile und dergleichen hervorzurufen, denen dann ihre Verwirklichung sozusagen [S. 280] zwanglos und logisch folgt. Denn dank dieser Seelenwäsche wird die Welt dann »so« gesehen und ist daher »so«.“[541]

WATZLAWICK gibt weitere Beispiele der Sprachmagie und deutet gleichzeitig einen Ausweg an: Man muß verstehen, wie die Fremdprogrammierung -bzw. man selber -funktioniert!

„Schon WITTGENSTEIN machte in seinen Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik darauf aufmerksam, daß gewisse Spiele mit einem einfachen Trick zu gewinnen sind. Sobald uns jemand auf das Bestehen dieses Tricks aufmerksam macht, brauchen wir nicht mehr naiv weiterzuspielen (und immer wieder zu verlieren). Auf diesen Überlegungen aufbauend, formuliert der Spieltheoretiker HOWARD dann sein existentialistisches Axiom, das darauf hinausläuft, daß jemand, »der sich einer sein Verhalten betreffenden Theorie 'bewußt' wird, ihr dadurch nicht länger unterworfen ist, sondern es ihm freisteht, sich über sie hinwegzusetzen«[542].“[543]

Damit sind Problem und Auftrag einer Konsumentenbewegung benannt. Ich möchte das Thema um weitere Stimmen von historischem Rang ergänzen:

„Der bekannte Pariser Nationalökonom, Prof. Dr. CH. GIDE, ist der Ansicht, daß der Konsument in bezug auf Unwissenheit, Leichtgläubigkeit und Dummheit jeder anderen sozialen Kategorie voransteht. Er glaubt einem jeden, er erträgt alles, er schluckt alles geduldig herunter -wie in materiellem so auch in jedem anderen Sinne. Wird ihm eingeflößt, es sei sein Interesse, daß die Regierung z. B. Weizen besteuert, so kauft er sein Brot gleichmütig zu höheren Preisen als bisher. Man bringt ihm die Gewohnheit bei, »Traubenwein« aus getrockneten Feigen oder gar aus Campêche-Extrakt zu trinken, und er hält ihn für den besten aller Weine. Heute machen ihn die Schneider glauben, daß er kurze Beinkleider und einen langen Rock tragen muß, und bald darauf lautet die Vorschrift umgekehrt; der gutmütige Konsument ändert dementsprechend den Schnitt seines Anzuges, um dem Kaufmann oder dem Schneider Verdienst zu geben. Für Früchte und Gemüse, welche der arme Landmann unter dem Selbstkostenpreis losschlägt, zahlt der Konsument unsinnig hohe Preise. Von der Wiege bis zum Grabe wird er auf Schritt und Tritt übervorteilt, auf jede nur erdenkliche Art übers Ohr gehauen. Diese Ausbeutung durch den Zwischenhändler, wie auch häufig durch den Fabrikanten, ist haarsträubend, -sie findet ihre Entschuldigung höchstens in dem Gleichmut, mit dem sie ertragen wird. Der Konsument ist ein Hammel, der nicht blökt, wenn er geschoren wird. Wüßte er nur, daß er der Herr und Gebieter sein kann auf wirtschaftlichem Gebiet! Im Umsatz geht alles von ihm aus und kehrt alles zu ihm zurück. Er bestimmt, was er gebraucht, und bedingt durch seine Forderungen die Produktion. Gewöhnt er sich, z. B. Datteln zu essen, so wird die Sahara mit Palmenbäumen bepflanzt. (...) »Ist es nicht schrecklich zu sehen«, fragt GIDE, »daß die entscheidende Stimme der großen Masse von Konsumenten zukommt, die ihre wirtschaftliche Macht nicht erfaßt und ihre Verpflichtung nicht anerkennt? Wie betrübend ist es doch, daß erst seit kurzem ein nur geringer Teil dieser Masse ihre Macht zweckentsprechend zur Geltung bringt!«“[544]

[S. 281] »Kann der Hammel seinen Hunden entweichen«, um bei dem angeregten Bild zu bleiben? Nein, der Hammel kann es nicht, aber der Mensch kann es. Ergänzen wir die Vorstellung um eine weitere Kategorie des OPPENHEIMERschen Systems. Danach gibt es drei Hauptstufen menschlicher Entwicklung, die sich begrifflich -trotz Kontinuität aller Entwicklung -herausstellen lassen: „Die Hauptstufen sind die subsoziale, die die individuellen, niederen Triebe des Menschen enthält, sofern sie anthropologischer Art sind; die zweite ist die soziale mit den Trieben des sozial eingeordneten Menschen, und die dritte ist die suprasoziale mit den höheren Trieben der sozial geformten Persönlichkeit.“[545]

Verkürzt zusammengefaßt ist der Mensch zuerst ein Tier, das den Instinkten seiner angeborenen Überlebensmechanismen folgt. Wenn auf dieser Stufe »Denken« einsetzt, hat es keinen anderen Inhalt als die Optimierung einer Triebbefriedigung. Werbung liefert hier praktisch Ideen zur optimierten Triebbefriedigung.

In der sozialen Hauptstufe ist der Mensch Teil einer Gruppe. Alle Bedürfnisse bestehen zwar unvermindert fort, aber die Gruppe moduliert das »Denken« über die Wege zum Ziel. Der Mensch ist Reflex des ihn umgebenden Mediums und erklärt für »unbedingt richtig«, was das unerkannte Interesse des Mediums, in dem er lebt, vorgibt. Werbung stellt auf dieser Stufe eine Definitionsmacht bei der Modulation dar. Ihr vorrangiger Eingriff besteht darin, Ziele und Wege vorzugeben, die auf einem weiten Umweg über viele Konsumgüter eine kulturell überformte Primärbefriedigung in Aussicht stellen. Ihr eigenes Ziel ist nicht, daß der Mensch ißt, schläft oder liebt, sondern daß er bestimmte Dinge ißt, mit besonderer Kleidung schläft und sich der Liebe nur würdig glaubt, wenn er eine unendliche Abfolge von geschlechspezifischen Ritualen abgearbeitet hat. Genau genommen läuft die Manipulation darauf hinaus, das Tier im Menschen durch Kulturhandlungen abzuspalten und ihm eine unmittelbare Befriedigung zu verunmöglichen. Was die Kultur als Hebel zur Formung ihrer Mitglieder schon immer praktiziert hat und dort als kultivierende Leistung erscheint, wird nun als Hebel zur Formung des Konsumenten strapaziert. Das optimale Ergebnis im Sinne der Erfinder ist Konsumrausch, Arbeitswut und auf diesem Wege unerreichbares Glück (= Unglück) als unerkannter (weil herbeigetäuschter, die Sinne verwirrender) Dauerzustand.

Die suprasoziale Persönlichkeit ist nun gleichsam von dieser Welt und als solche gebunden an das, was als Denkinstrument Standard einer Kultur oder Zeit ist. Im Unterschied zu der beschriebenen Vorstufe gelten ihr die Interessen und Ansichten nicht als »natürlich« und »selbstverständlich richtig«, sondern als »unter bestimmten Bedingungen zustande gekommen«. Sie weiß etwa, aus welchen Interessen heraus Gruppen bestimmte Ansichten formulieren. Vor allem aber kennt sie das Interesse der eigenen Bezugsgruppe und die eigene Rolle in derselben. Ihr »Sogeworden-Sein« ist ihr ein zusätzlicher Tatbestand und Gegenstand der Reflektion. Das heißt, die Mechanismen des »So-Werdens« sind ihr Thema, und an die Stelle eines Glaubens daran, daß man »so ist«, tritt ein Wissen um die Werdung. Mit dem Wissen um die Werdung kommt die Idee der eigenen Veränderbarkeit. [S. 282] Andere Ereignisse hätten zu anderen Strukturierungen geführt, hätten eine andere Person geformt. Der nächste Schritt ist, daß der Mensch das Drehbuch seines Lebens selber zu schreiben beginnt, indem er bewußt Situationen aufsucht, von denen verändernde Wirkungen erwartet werden[546]. Er hat auf dieser Stufe meist ein Ziel, einen Wunschzustand der eigenen Entwicklung und prüft die von außen herangetragenen Informationen auf ihren Gehalt und ihre Vereinbarkeit. Das heißt nicht, daß die suprasoziale Persönlichkeit weniger betrogen werden könnte oder geringeren objektiven Zwängen unterläge, die ihr gar keine andere Wahl lassen, als Opfer oder Mittäter zu sein. Aber sie weiß um den Betrug oder Zwang und interessiert sich sehr für deren Mechanismen, um ihnen zu entweichen.

Kommen wir auf die Konsumgenossenschaften zurück, dann ist aus dieser Sicht klar, daß »Förderung« inhaltlich definiert werden müßte als organisatorisch unterstützte Chance der Reflektion und Information. Bewußter Konsum setzt Auseinandersetzung mit der ganzen Person voraus, wobei es nicht um Belehrung geht, sondern um alternative Erfahrungen und einen Urteilsfindungsprozeß, der nicht von einer Megamaschinerie der Propaganda überlagert wird. Es geht um Kultur und, wenn die ganze Gesellschaft krank ist, um Subkultur, in der ein nach wie vor sozial offener (und damit angreifbarer) Mensch seine alternative Wertbasis finden und stabilisieren kann. Nicht weniger als Lebensgestaltung ist Thema, wenn Bedürfnisse beschrieben und dafür zu zahlende Preise (in der Werteinheit »Verbrauch von Leben«) diskutiert werden. Dabei gibt es keine Norm für gut oder schlecht, sondern nur Kausalzusammenhänge, die man kennt oder nicht kennt. Jeder Mensch hat das Recht, soviel Gift wie es beliebt zu verspeisen. Aber man sollte es wenigstens wissen und seine Entscheidungen unter Annahme der möglichen Konsequenzen treffen.

Wir haben bis hierhin keinen Versuch unternommen, die konkrete Geschichte der Konsumgenossenschaft aufzuarbeiten. Statt dessen stand im Vordergrund die Bedeutung möglicher (und vielleicht sogar vorhandener) Konsumgenossenschaften in der Marktwirtschaft und innerhalb eines »Genossenschaft-Orchesters«. Bewußtwerdung, Solidarisierung und Einführung in das Genossenschaftswesen stehen als Punkte für den Orchester-Gedanken. Verteidigung gegen Machtpositionen und Monopole beschreiben den marktwirtschaftlichen Teil.

Wären die Konsumgenossenschaften bereit, sich als Organisationen des Endverbrauchers zu verstehen, der bekanntlich mit seinen Zahlungen honoriert, was seinem Bedürfnis am weitesten entgegenkommt, dann läßt sich zusätzlich eine Perspektive für diejenigen zeichnen, die als Mitarbeiter in der Organisation einem Erwerbsinteresse nachgehen. Die Frage nach der Existenz als Konsumentenorganisation beantwortet sich mit der Hingabe an das Konsumentenbedürfnis, durch dessen Berücksichtigung diejenige Organisationsform Zuspruch erfährt, die sich darauf einläßt. Damit meine ich, daß Organisationen häufig starre Gebilde sind, die ihr institutionelles Eigenleben zum obersten aller Ziele setzen und von dort aus strategisch [S. 283] auf ihre Umwelt einwirken. Wer sich dagegen konsequent als Dienstleister am Kunden oder Genossen organisiert, überspringt so die größte Hürde einer im Absatzbereich tätigen Organisation.

Wer für das Problem der Lebensgestaltung mit Konzeptionen aufwarten kann oder zumindest ein Interesse an und Flexibilität gegenüber dem Endverbraucher zeigt, hat so auch gute Chancen, die Metabegründung des eigenen Handelns durch Hinweise des Verbrauchers/Genossen aufzuspüren. Sie ist fast noch wichtiger als das konkrete »Wie«, denn letzteres folgt mit gewisser Logik aus ersterem und ist eine abgeleitete Größe, während der Handlungssinn aus der betriebswirtschaftlichen Methode nicht abgeleitet werden kann.

3.4.3. Probleme und Perspektiven

Die sozialpolitische Stellung FRANZ OPPENHEIMERs gegenüber der Konsumgenossenschaft bedarf hier vielleicht einer speziellen Erwähnung, weniger wegen des Personenkults, als vielmehr wegen des großen Erfolges der Hamburger Konsum-, Produktiv-und Baugenossenschaft »Produktion«, der mit einer Intervention OP-PENHEIMERs geschuldet sein dürfte, die in der Literatur kaum bekannt ist, aber doch einen »Wendepunkt« der konsumgenossenschaftlichen Erfolgsgeschichte in Deutschland markiert. HASSELMANN schreibt auf S. 104 treffend: „Auch OPPENHEIMER erwartete von der Siedlungsgenossenschaft, die sowohl Produktiv-wie Bau-und Konsumgenossenschaft sein sollte, einen entscheidenden Beitrag zur Lösung der sozialen Frage.“ Der Autobiographie OPPENHEIMERs entnehme ich nun folgende Passage:

„HERMANN KRECKE gründete, wohl mit unter dem Einfluß von BUSCH, 1894 einen Konsumverein »Hülfe«. Die Absicht war, eine Organisation von der ungeheuren Größe und Kraft der britischen Konsumgenossenschaften zu schaffen, die damals bereits ungefähr jeden vierten Briten umfaßten, einen Umsatz von über einer halben Milliarde Mark erzielten und etwa 300 Millionen Mark jährlich als Einkaufsdividende ausschütteten. Mit so ungeheuren Mitteln ließ sich auf friedlichem Wege Großes erreichen, wenn sie nur richtig zusammengehalten und angewendet wurden, anstatt sie in kleinsten Beiträgen zu zersplittern. Die »Hülfe« sollte diesen Fehler vermeiden, sollte die Gewinne zusammenhalten und für die soziale Umformung verwenden. Ich warnte vergeblich; ich sagte, und die Entwicklung gab mir leider recht, daß die britischen Vorbilder ja nur dadurch zu ihrer großen Mitgliederzahl und Finanzmacht gelangt waren, daß sie den privaten Egoismus der Genossen durch die Auszahlung der Dividende befriedigten, und ich riet, diesem Egoismus zunächst entgegenzukommen und das Statut erst zu ändern, wenn der Verband zu genügender Kraft gelangt sei. Der fast asketische Idealist KRECKE, der an die anderen gerade so unerbittliche Ansprüche stellte wie an sich selbst, glaubte an die Uneigennützigkeit des Menschen -und scheiterte. Der Verein blieb, wie ich es vorausgewußt hatte, winzig klein, machte keine Fortschritte und wurde liquidiert. Das war aber auch der einzige Mißerfolg. Um mit den kleineren Dingen zu beginnen, so wurde aus unserem Kreise heraus [gemeint ist die Berliner Gruppe der »Freiländer«, W.K.] auf Anregung GUSTAV LILIENTHALs, des Bruders und Mitarbeiters OTTOs, des [S. 284] berühmten ersten Gleitfliegers, der auch Mitglied unserer Gruppe war, ca. 1894 eine Baugenossenschaft »Freie Scholle« in Berlin-Tegel begründet, die heute noch blüht und wächst. Viel bedeutsamer war die Begründung der zu ungeheuren Größe und Kraft emporgewachsenen Hamburger »Produktion«, einer gewaltigen Konsum-, Produktiv-und Baugenossenschaft, die auf Grund der Organisation der Kundschaft auch weiterhin zu großartiger Eigenerzeugung vorgeschritten ist; ihre Bäckerei und Fleischerei gehören zu den größten und modernsten Anlagen ihrer Art, und die von ihr errichteten Baublocks in allen Teilen der Stadt sind wahrscheinlich die Vorbilder der heute überall aufschießenden »Siedlungen« gewesen, wie sie namentlich die sozialistische Stadtverwaltung Wiens in so vorbildlicher Weise errichtet hat. Die Führer dieser Bewegung waren einige Mitglieder der Hamburger Freilandgruppe; es gelang ihnen, die mächtigen Gewerkschaften unter dem bekannten Abgeordneten VON ELM zu gewinnen, und der Großkaufmann RAFAEL ERNST MAY, ein Sozialstatistiker von hohem Rang, der uns nahestand, beteiligte sich führend an der Ausarbeitung des Organisationsplanes. Hier wurden meine Ratschläge befolgt; den Mitgliedern wurde zwar nicht der ganze Gewinn, wohl aber eine erhebliche Dividende ausgeworfen, und der stattliche Rest wurde für die sozialen Zwecke des Ganzen kapitalisiert. Die Folge war, daß der Verband schnell wuchs und zu höchster Blüte gelangte.“[547]

OPPENHEIMER beteiligte sich an all diesen Bestrebungen, obgleich sie nicht sein sozialpolitisch vorrangiges Anliegen berührten, nämlich die Wiederherstellung der »Terra libera«, des Freilandes. Selbstverständlich ist sein Anteil an dem Geschehen um die Hamburger »Produktion« winzig gemessen an dem, was aus der Arbeiterbewegung heraus und von den vor Ort Tätigen geleistet wurde. Aber er war dabei, und der Einfluß der Freiland-Gruppe, die mehr wollte „als nur theoretische Klärung, wir wollten die rettende Tat“[548], kennzeichnet einen Wendepunkt in dem konsumgenossenschaftlichen Selbstverständnis, denn „die meisten Konsumvereine hatten sich doch im wesentlichen damit begnügt, ihren Mitgliedern preiswerte Waren zu liefern“, während die »Produktion« in Hamburg nun klar erkennen ließ, „daß es ihr auf die wirtschaftliche Macht der Arbeiter und Verbraucher ankam.“[549]

Mit einigem Unbehagen soll diese Wende von dem Anwalt des Allgemeinen Verbandes, HANS CRÜGER, beurteilt worden sein, der es vorwegnehmend als bedauerliche Entwicklung ansah, wenn, ausländischem Vorbild folgend, die Konsumgenossenschaften Deutschlands eine Umgestaltung der Wirtschaftsordnung anstreben würden, so wie ihm der Übergang zur Eigenproduktion wenig sympathisch gewesen sein soll[550]. OPPENHEIMER schrieb über die politischen Konfliktlinien verärgert:

„Kein besseres Beispiel als Sachsen, der industriell am weitesten entwickelte Teil Deutschlands, wo die »Meisterklasse« sich immer noch liberal schimpft, sogar fortschrittlich, obgleich sie jedem russischen Cinäs ein paar Längen vorgeben darf. Sie haben das Wahlrecht verhunzt, sie haben die Arbeiter sogar aus den -Konsumvereinen [S. 285] herauszuängstigen versucht, sie haben den Weltrekord in der Auslegung des Koalitionsrechts geschlagen -und heute sind 22 von 23 sächsischen Reichstagswahlkreisen rot!

Viel besser sind sie aber auch anderswo nicht! Berlin ist durch das Dreiklassenwahlrecht seit einem halben Jahrhundert kommunalpolitisch vom Freisinn beherrscht: es ist, zu unserer Schande muß es gesagt werden, von vielen deutschen Groß-und Mittelstädten in aller sozialpolitischer Fürsorge, sogar im Schulwesen, weit überholt worden. Seine Arbeiterpolitik aber ist geradezu jammervoll, und nirgends spielt die reaktionäre Klasse der Hausagrarier und Bodenwucherer eine skandalösere Rolle in einer großen deutschen Stadtverwaltung!

Und man denke ferner an Dr. HANS CRÜGER und die Ächtung der Konsumvereine!

Sie haben nichts gelernt und nichts vergessen! Als ich selbst vor sieben Jahren dem deutschen Liberalismus eine neue Theorie der Gesellschaft unterbreitete, an der das schärfste Vergrößerungsglas keine nicht-liberale Faser entdecken kann, eine Theorie, die die volle wirtschaftliche Freiheit des Marktverkehrs gegen die sozialistische Theorie verteidigt, und praktische Vorschläge, die in einer auf Selbsthilfe beruhenden, von SCHULZE-DELITZSCH selbst empfohlenen Genossenschaft gipfelten -da wurde ich nirgends hämischer und höhnischer behandelt, als gerade von »liberalen« Zeitungen und Politikern. Es war eine Wiederholung -sans comparaison -der Erfahrung, die LASSALLE gemacht hat.“[551]

Meines Erachtens ein bemerkenswerter Konflikt mit interessanter Frontstellung, dessen Wurzel bis in die 1860er Jahre zurückreicht und der gegen 1900 einer Klärung entgegendrängte, als die aufstrebende Konsumgenossenschaftsbewegung Rochdaler Prägung mit dem an seiner „genossenschaftlichen Mittelstandsideologie festhaltenden Allgemeinen Verband“[552] zunehmend zusammenstieß. Bemerkenswert deswegen, weil es in der Geschichte des deutschen und internationalen Genossenschaftswesen auf vielen Ebenen diesen Gegensatz einer »Bewegung von oben« und einer »Bewegung von unten« gegeben hat, wobei die erste Gruppe die Genossenschaft als eine Einrichtung zur Systemstabilisierung verstand und sich mal um ihre eigene Klasse, mal um gönnerhafte Wohlfahrt für die unterlegene Klasse bekümmerte, während die zweite Gruppe einen gesellschaftlichen Umbau im Schilde führte und aus diesem Grunde auch theoretisch reflektiert nach Wirkungsmechanismen gesucht hat, die der Genossenschaftsbewegung zu einer gewissen Dynamik verhalfen.

Auch der kleine theoretische Beitrag OPPENHEIMERs zur Übernahme des Rochdaler Erfolgsrezeptes durch die Hamburger »Produktion« erhielt leider noch nachträglich einen höheren Stellenwert als lediglich den einer netten Anekdote. Denn es sollte der Tag kommen in einem demokratischen Deutschland, wo die von den Deutsch-Faschisten beabsichtigte und nicht gelungene Vernichtung der Konsumgenossenschaft doch noch vollendet werden sollte durch ein Gesetz, das die Konsumgenossenschaft ins wirtschaftliche Mark traf. Wir erinnern uns an die Genossenschaftskonstruktion eines HERMANN KRECKE, die auf die Rückvergütung verzichten wollte und prognosegemäß scheiterte. Wir erinnern uns an OPPENHEIMER, [S. 286] der die am privaten Egoismus der Genossen ansetzende Dividendenzahlung als Erfolgsrezept von Rochdale erkannte. Und vor diesem Hintergrund sehen wir uns mit einem vom Einzelhandel aufgestachelten Gesetzgeber der Bundesrepublik konfrontiert, der ausgerechnet das Prinzip der Rückvergütung praktisch verbietet, indem er es an die 3 %-Grenze eines Rabattgesetzes knüpft[553]. Die Genossenschaften versuchten nach dieser Breitseite zunächst aus der Not eine Tugend zu machen, und manche Theoretiker verbreiteten in einer Art Zweckoptimismus gar die Meldung, daß die Rückvergütung als »notwendiges Übel« anzusehen sei[554]. Mag sein, denn so haben CHARLES GIDE und OPPENHEIMER dies letztlich auch gesehen. Nur, was bedeutet das Wort »notwendig« gegenüber dem Wort »Übel«, wenn daran Aufstieg und Untergang hängt? Kurz: es ist den Konsumgenossenschaften ebensowenig gelungen, aus der Not eine Tugend zu machen, wie dies zuvor dem tugendhaften KRECKE gelungen war. Man hätte die Genossenschaft als Rechtsform sofort verlassen müssen und besser (als Protest) eine Kombination aus privatem Konsumverein und Handelsgesellschaft installiert, die in einem rechtsfreien Raum das Erfolgsrezept wahrt, als sich wie der berühmte Hase auf einen Wettlauf gegen zwei Igel einzulassen. Dabei hat es warnende Stimmen gegeben, bevor das Unheil seinen Lauf nahm. OTTO GLAß schrieb 1949:

„Die Ausdehnung des Geschäftsbetriebes auf Nichtmitglieder widerspricht an und für sich genossenschaftlichen Grundsätzen. Die Genossenschaft wird dadurch zur Erwerbswirtschaft. (...) In Zeiten, wie den heutigen, mag vorübergehend ein Verkauf auch an Nichtmitglieder zu verantworten sein, weil die Genossenschaften bei der allgemeinen Warenverknappung die von den Versorgungsringen der DAF [Deutsche Arbeitsfront, W.K.] übernommene Kundschaft mit zu betreuen haben. In normalen Zeiten muß aber an dem Grundsatz der Warenabgabe nur an Mitglieder festgehalten werden. Außer den genossenschaftlichen Erwägungen spielen hier im übrigen auch steuerpolitische Fragen hinein. Wird die Genossenschaft zur Verdienstunternehmung, so fällt jeder Grund für eine steuerliche Sonderbehandlung fort.“[555]

Nun, da die geistigen Führer gegen besseren Rat um die Befreiung von der Bindung an das Mitgliedergeschäft kämpften und damit eine erste Annäherung an den nichtgenossenschaftlichen Einzelhandel vollzogen war, fehlte vermutlich der rechte Ehrgeiz in diesem wichtigen Punkt. Genau die Geschlossenheit eines »Vereins« wollte man ja ablegen, wodurch -gleiches Recht für alle -die Anlehnung an das [S. 287] für den nichtgenossenschaftlichen Einzelhandel geltende Rabattgesetz nur recht und billig wurde[556]. Es berichten die Chronisten:

„Es gibt nur wenige gesetzgeberische Maßnahmen, die einen so durchgreifenden Einfluß auf die Geschichte der Konsumgenossenschaften ausgeübt haben wie das »Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Gesetzes betreffend die Erwerbs-und Wirtschaftsgenossenschaften und des Rabattgesetzes« vom 21. Juli 1954. Das Gesetz hat eine lange Vorgeschichte. Dazu gehörten der Kampf der Konsumgenossenschaften um die Beseitigung des § 8 Absatz 4 des Genossenschaftsgesetzes, der den Konsumgenossenschaften den Verkauf an Nichtmitgliedern verbot, dazu gehören auch die Bestrebungen gewisser Handelskreise, der konsumgenossenschaftlichen Rückvergütungspolitik entweder durch eine Besteuerung der Rückvergütung oder durch die Reduzierung der Rückvergütung auf den Rabattsatz oder durch beides den Boden zu entziehen. (...) Die Gleichsetzung der konsumgenossenschaftlichen Rückvergütung mit dem Rabatt und bei der Beschränkung auf 3 % durch das Rabattgesetz (Gesetz über Preisnachlässe) vom 25.11.1933 machte die Rückvergütung in den Augen der Verbraucher zu einem schlechten Rabatt, einem »Rabatt«, der mit der Übernahme von Mitgliedspflichten (Geschäftsanteil, Haftpflicht) verbunden war, der ungewiß war, ... Das Rabattgesetz war also eines der nationalsozialistischen Mittel zur Unterbindung des konsumgenossenschaftlichen Fortschritts.

(...) Auf dem 40. Konsumgenossenschaftstag, der im Juni 1963 in Berlin stattfand, hat der Vorsitzende CARL SCHUMACHER in seinem Vortrag über »das Leitbild der Konsumgenossenschaften in der Gegenwart« mit Nachdruck auf die verheerende Wirkung dieses gesetzlichen Eingriffs in die genossenschaftliche Autonomie hingewiesen: »Der schmerzhafteste und folgenschwerste Eingriff in die genossenschaftliche Eigenart, von vielen geradezu als Denaturierung des genossenschaftlichen Wesens bezeichnet war die gesetzliche Beschränkung der Rückvergütung, damit der genossenschaftlichen Selbstbestimmung und letztlich des Förderungsauftrags selbst! Das meiste von dem, was heute als 'Verrat', 'Entartung', Kommerzialisierung, Entgenossenschaftlichung empfunden oder [S. 288] angesehen wird, geht ursächlich auf diesen 'Markstein der Entgenossenschaftlichung' zurück.«“[557]

Und aus der Gegenwart hochaktuell:

„In Ostdeutschland ist die Zahl der Konsumgenossenschaften auch 1991, wenngleich nur leicht, zurückgegangen. (...) Bei 4,37 Millionen Mitgliedern (1989: 6,64, 1990: 4,57 Millionen) gehörten aber immer noch zwei von drei Haushalten in Ostdeutschland einer Konsumgenossenschaft an. Im laufenden Jahr 1992 dürften weitere Mitglieder ausgeschieden sein. Der Mitgliederrückgang wird damit erklärt, daß die deutlichen Einschränkungen bei den Rückvergütungen nicht überall das Verständnis der Mitglieder fanden, ...“[558]

Mit anderen Worten: Die Konsumgenossenschaft ist in Deutschland faktisch verboten, da ihr ökonomischer Mechanismus verboten ist[559]. Mit ihrem Verbot wird einerseits ein weiteres Kapitel unterlassener Verbraucherpolitik geschrieben[560], andererseits aber auch der »Kopf« eines Genossenschaftswesens verboten. Denn von der Seite seiner Bedürfnisse aus betreibt der Mensch eine mehr oder weniger gelungene Lebensplanung bzw. entwickelt Konzepte und Utopien zu deren Verbesserung. Von daher ist die Konsumgenossenschaft meines Erachtens Ort der Sinnfindung -eben »Kopf« oder »Sinnesorgan des Sinns«.

Fußnoten
[517]
Vgl. ARNULF WEUSTER: Theorie der Konsumgenossenschaftsentwicklung. Berlin 1980, S. 37.
[518]
Vgl. ANDREA GERTH und ELMAR SING: Knatsch, Zoff und Keilerei. Ein Lern-und Arbeitsbuch für selbstorganisierte Gruppen und Betriebe. München 1992.
[519]
GUNTHER ASCHOFF, ECKART HENNINGSEN, Das deutsche Genossenschaftswesen. a.a.O., S. 115 f.
[520]
ERWIN HASSELMANN: Geschichte der deutschen Konsumgenossenschaften. Frankfurt a.M. 1971, S. 297.
[521]
Selbstverständlich waren es vor allem Frauen, die den Hauptanteil der Käufer stellten und über die Konsumgenossenschaft die Haushaltskassen entlastet haben. Daß die Konsumgenossenschaften, trotz ihrer Geschichtsschreibung durch Männer, eine zumindest formale Gleichberechtigung der Geschlechter lange vor anderen gesellschaftlichen Kreisen realisierten, dürfte von den Frauen über den Kauf hinausgehend positiv aufgegriffen worden sein.
[522]
Die Statistik weist für 1960 2,6 Mio., 1970 2,1 Mio., 1980 0,66 Mio. und 1990 0,6 Mio. Mitglieder (West) aus (siehe DG BANK, Die Genossenschaften ..., a.a.O., S. 89). Im wesentlichen stehen dahinter die Einbrüche bei der COOP, während etwa die Konsumgenossenschaft Dortmund-Kassel als stabil und erfolgreich gilt. Gegenläufig ist auch die Tendenz bei sogenannten Produzenten-Verbraucher-Gemeinschaften, die recht urwüchsig an frühere Konsumvereine erinnern. In den fünf neuen Bundesländern waren die Konsumgenossenschaften traditionell stark und zählte man auch 1991 noch etwa 4,3 Mio. Mitglieder. Doch zeichnet sich eine vorprogrammierte Talfahrt ab, da das gesetzlich verankerte Rückvergütungsverbot die Konsumgenossenschaft praktisch unmöglich macht. (Siehe zum Thema Rückvergütung weiter unten, S. 286 dieser Arbeit.)
[523]
Bezüglich der Projektform vgl. BURGHARD FLIEGER: Erzeuger -Verbraucher -Genossenschaften. Über die Chancen einer neuen Kooperationsform. In: Rolf Schwendter (Hg.), Die Mühen der Ebenen, München 1986, S. 168 -176.
[524]
Vgl. FRANZ OPPENHEIMER: Käufer und Verkäufer. Ein Beitrag zur wirtschaftlichen Kollektivpsychologie. In: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, hrsg. von Gustav Schmoller, Jg. 24, Heft 3/1900, S. 1369 -1414. Sowie FRANZ OPPENHEIMER, System III, Theorie, S. 950 -955.
[525]
Vgl. JOHANN BRAZDA und ROBERT SCHEDIWY: Die Genossenschaften der Konsumenten. In: Juhani Laurinkari, Genossenschaftswesen, München 1990, S. 605 -625. Die Autoren geben für die Gegenwart ein Verhältnis von 1 % zwischen Gewinn und Umsatz als bereits gutes Resultat an. (S. 618)
[526]
Vgl. WILHELM ABEL: Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Europa. Hamburg u.a. 1974.
[527]
ERWIN HASSELMANN, Geschichte ..., a.a.O., S.636.
[528]
Fußnote im Zitat: „GUSTAV MAIER, Soziale Bewegung und Theorien. Leipzig 1898, S. 152 -155.“
[529]
Fußnote im Zitat: „M. UHLENHORST, Kaufmann oder Schmarotzer? Berlin 1890, S. 28.“
[530]
VAHAN TOTOMIANZ: Konsumentenorganisation. Theorie, Geschichte und Praxis der Konsumgenossenschaften. 3. Aufl., Berlin 1929, S.5.
[531]
CHARLES GIDE zitiert nach VAHAN TOTOMIANZ: Grundlagen des Genossenschaftswesens. 2. Aufl., Berlin 1929, S. 24. Bei TOTOMIANZ ohne nähere Quellenangabe.
[532]
ANKE MARTINY und OTFRIED KLEIN: Marktmacht und Manipulation. Sind die Verbraucher Objekt oder Subjekt unserer Wirtschaftsordnung? Frankfurt a. M. 1977, S. 9.
[533]
MOLL, Der Hypnotismus, Berlin 1907, S. 176 berichtet folgenden Fall: „Hier ist ein Herr in Hypnose. Ich suggeriere ihm, nach dem Erwachen einen Blumentopf vom Fensterbrett zu nehmen, in ein Tuch einzuwickeln, auf das Sofa zu stellen und dann dreimal eine Verbeugung vor dem Blumentopf zu machen. Alles wird pünktlich ausgeführt. Nach dem Grunde seines Handelns befragt, erwidert der Herr: »Wissen Sie, so nach dem Erwachen sah ich den Blumentopf dort stehen, da dachte ich mir, es ist kalt, ein derartiger Blumentopf muß gewärmt werden, sonst geht die Pflanze zugrunde. Ich wickelte ihn daher in das Tuch, und dann dachte ich mir, das Sofa steht so hübsch nahe am Ofen, da werde ich den Blumentopf auf das Sofa stellen. Die Verbeugungen machte ich mehr aus Hochachtung vor mir selbst über die gute Idee, die ich gehabt habe.« Der Herr erklärte, daß er etwas so Törichtes in der ganzen Sache nicht finden könne, er habe ja seine guten Gründe dafür angegeben.“ Zitiert nach FRANZ OPPENHEIMER, System I, Soziologie, S. 610. Siehe auch unter Punkt 1.3.2. dieser Arbeit (S. 104 ff).
[534]
Drastische Worte findet LUDWIG GUMPLOWICZ, Grundriß der Soziologie, Wien 1885: „Naturgesetzlich handelt der Mensch, und menschlich denkt er hinterdrein ... In den Handlungen der Gemeinschaften walten blinde Naturtriebe -hier wird nicht gedacht und überlegt, sondern nach ewigen Gesetzen immer vorwärts gestrebt. Dieses Streben tritt als Tat in Erscheinung -die Tat aber erzeugt den Gedanken, den der Idealist dann zurückverlegt in die 'Seele' der Handelnden als 'Motiv' der Handlung.“ (S. 37) „Der größte Irrtum der individualistischen Psychologie ist die Annahme: der Mensch denke. Aus diesem Irrtum ergibt sich dann das ewige Suchen der Quelle des Denkens im Individuum, und der Ursache, warum es so und nicht anders denke, woran die Theologen und naiven Philosophen Betrachtungen darüber knüpfen oder gar Ratschläge erteilen, wie der Mensch denken soll. Es ist das eine Kette von Irrtümern. Denn erstens, was im Menschen denkt, das ist gar nicht er -sondern seine soziale Gemeinschaft, die Quelle seines Denkens liegt gar nicht in ihm, sondern in dem sozialen Medium, in dem er lebt, in der sozialen Atmosphäre, in der er atmet, und er kann nicht anders denken, als so, wie es aus den in seinem Hirn sich konzentrierenden Einflüssen des ihn umgebenden sozialen Mediums mit Notwendigkeit sich ergibt. In der Mechanik und Optik kennen wir das Gesetz, wonach wir aus der Beschaffenheit des Einfallswinkels diejenige des Ausfallswinkels berechnen. Auf geistigem Gebiete existiert ein ähnliches Gesetz, nur können wir es nicht so genau beobachten. Aber jedem Einfallswinkel eines geistigen Strahles in unser Inneres entspricht genau ein gewisser Ausfallswinkel unserer Anschauung, unseres Gedankens, und diese unsere Anschauungen und Gedanken sind nur das notwendige Resultat der auf uns seit unserer Kindheit eindringenden geistigen Einflüsse.“ (S. 167 f) Zitiert nach FRANZ OPPENHEIMER: System I, Soziologie, S. 606 f.
[535]
Vgl. ANDREAS SCHUKE: Qualitatives Wachstum und der Strukturwandel in Konsum und Produktion. In: Hans G. Nutzinger (Hg.), Konsum und Produktion. Neuere Entwicklungen im Verbraucherverhalten. Heidelberg 1983, S. 17 -53.
[536]
Vgl. LOTHAR CZAYKA: Manipulation der Verbraucher durch die Produzenten oder durch die Wissenschaft? In: Hans G. Nutzinger (Hg.), Konsum und Produktion, a.a.O., S. 135 155, speziell S. 138.
[537]
Fußnote im Zitat: „HANNAH ARENDT: Vita Activa. München 1981, S. 87.“
[538]
KARLHEINZ A. GEIßLER: Das Duale System der industriellen Berufsausbildung hat keine Zukunft. In: Leviathan, Heft 1/1991, S. 68 -77.
[539]
Siehe oben, Fußnote 534 auf Seite 277.
[540]
Vgl. RAINER ZOLL u. a.: Nicht so wie unsere Eltern! Ein neues kulturelles Modell? Opladen 1989.
[541]
PAUL WATZLAWICK: Selbsterfüllende Prophezeiungen, a.a.O., S. 107.
[542]
Fußnote im Zitat: „NIGEL HOWARD: The Theory of Metagames. General Systems II, 167, 1967, (Jahrbuch der Society for General Systems Research).“
[543]
PAUL WATZLAWICK: Selbsterfüllende Prophezeiungen, a.a.O., S. 108.
[544]
VAHAN TOTOMIANZ: Konsumentenorganisation. Theorie, Geschichte und Praxis der Konsumgenossenschaften. Berlin 1929, S. 9 f.
[545]
FRANZ OPPENHEIMER: System I, Soziologie, S. 245.
[546]
Klassische Ansätze sind hier Reisen und Kunst. Beides sind Wechsel von Normalität und bilden, weil sie die Gewordenheit des Normalen bewußt werden lassen.
[547]
FRANZ OPPENHEIMER: Lebenserinnerungen, S. 155 f.
[548]
FRANZ OPPENHEIMER: Lebenserinnerungen, S. 155.
[549]
ERWIN HASSELMANN: Geschichte ..., a.a.O., S. 249 f.
[550]
Vgl. ERWIN HASSELMANN: Geschichte ..., a.a.O., S. 250 und 252.
[551]
FRANZ OPPENHEIMER: Die Niederlage des deutschen Liberalismus. In: Freistatt (München), Nr. 31/1903, S. 603 -604, hier 604.
[552]
Vgl. ERWIN HASSELMANN: Geschichte ..., a.a.O., S. 273 und 278.
[553]
Nach MEYER-DOHM hat es in diesem Punkt gar eine freie Wahl gegeben. Er schreibt: „Bei der Novellierung des Rabattgesetzes und des § 8, Abs. 4 des Genossenschaftsgesetzes 1954 standen die Konsumgenossenschaften vor der Alternative des Verzichts auf das Nichtmitgliedergeschäft bei unbeschränkter Rückvergütung oder des freien Nichtmitgliedergeschäftes mit begrenzter Rückvergütung. Ihre Entscheidung für das freie Nichtmitgliedergeschäft war sicherlich von der Einsicht geleitet, daß auf diesem Wege eine stärkere Expansion möglich wäre.“ PETER MEYER-DOHM: Möglichkeiten der Konsumentenorganisation. In: Erik Boettcher, Harry Westermann (Hg.), Genossenschaften -Demokratie und Wettbewerb. Tübingen 1972, S. 95 -142, hier S. 116.
[554]
Gemeint sind GUSTAV DAHRENDORF und OSWALD VON NELL-BREUNING. Siehe ERWIN HASSELMANN: Geschichte ..., a.a.O., S. 633.
[555]
OTTO GLAß: Genossenschaftskunde. Berlin 1949, S. 43.
[556]
GERHARD WEISSER hat durch seine Gutachten nicht nur der Produktivgenossenschaft einen Stein in den Weg gelegt (vgl. WERNER KRUCK: Die gewerbliche Produktivgenossenschaft ..., a.a.O., S. 210 ff.), sondern auch Anteil an dem Untergang der Konsumgenossenschaften. Er schreibt wohl richtig, daß es keine Ähnlichkeit zwischen Rückvergütung und Rabatt gäbe (S. 221), aber er warnt die Genossenschaften nicht entschieden vor der logischen Konsequenz des Nichtmitgliedergeschäftes (vgl. S. 208), sondern stimmt als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium dem großen Gutachten des Beirats über organische Steuerreform im ganzen zu (S. 212). Der sogenannten »Burgfriedensmaßnahme« könnte die Konsumgenossenschaft angeblich durch eine aktive Preispolitik standhalten (vgl. S. 212). Aber vorsorglich behält WEISSER sich das Recht vor, „zu diesem Punkt und zu einigen anderen eigene Ausführungen abweichend oder ergänzenden Inhalts zu publizieren“. GERHARD WEISSER: Sind die Genossenschaften reformbedürftig? In: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, Bd. 5, 1955, S. 200 -217. Der Begriff »Burgfrieden« hat in der Geschichte der Konsumgenossenschaften übrigens eine unschöne Tradition. Die Konsumgenossenschaften hatten, um den wilden Aktionen des »Kampfbundes des gewerblichen Mittelstandes« zu entgehen, der die programmgemäße Zerschlagung der Konsumgenossenschaften forderte, die Einsetzung eines Beauftragten der NSDAP in ihren eigenen Reihen akzeptiert. „Tatsächlich beschloß HITLER auf das Monitum LEYS hin, die Konsumgenossenschaften nicht zu vernichten, sondern unter die politische Kontrolle der DAF [Deutsche Arbeitsfront] zu stellen.“ KUNO BLUDAU: Nationalsozialismus und Genossenschaften. Hannover 1968, S. 118.
[557]
ERWIN HASSELMANN: Geschichte ..., a.a.O., 1. Abs. S. 623, 2. Abs. S. 635. Zitat im Zitat von CARL SCHUMACHER: Das Leitbild der Konsumgenossenschaften in der Gegenwart. Vortrag, gehalten auf dem 40. Konsumgenossenschaftstag des Zentralverbandes deutscher Konsumgenossenschaften am 19. Juni 1963 in Berlin, S. 4.
[558]
DG BANK: Genossenschaften ..., a.a.O., S. 60.
[559]
Einer letzten Meldung zufolge beabsichtigt die Bundesregierung, das Rabattgesetz ersatzlos aufzuheben. Damit fiele gleichzeitig die Rechtsgrundlage der begrenzten Rückvergütung und könnten die Konsumgenossenschaften möglicherweise ab 1995 wieder frei disponieren. [Wurde durch die Ereignisse bis zur Drucklegung dieser Arbeit nicht bestätigt.]
[560]
Vgl. zu der schwachen Position des Verbrauchers BERND BIERVERT u.a.: Verbrauchergerechte Verbraucherforschung und Verbraucherpolitik. Wuppertal 1976. BERND BIERVERT u. a.: Alternative Organisationsformen für die Vertretung von Verbraucherinteressen. Wuppertal 1982. JUTTA JÖSCH: Konsumgenossenschaften und Food-Cooperatives. Berlin 1983.