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Roman Herzog ehrt Franz Oppenheimer

tll. Potsdam - Der begehrteste deutsche Exportartikel stammt offensichtlich nicht von Bayerischen Motorenwerken oder Uhrenherstellern im Schwarzwald. Nach Bundespräsident Roman Herzog trägt dieses Gut den Namen "Soziale Marktwirtschaft". Es findet "von den USA bis China" Bewunderer und ist auch in Zeiten globaler Veränderungen zu verteidigen.

Die Tour d'horizon des Bundespräsidenten zum Thema des freiheitlichen, humanen und sozialen Staates hatte einen Anlaß: Gestern präsentierte das Moses-Mendelssohn-Zentrum der Universität Potsdam einen Band der Gesammelten Schriften von Franz Oppenheimer. Der erste von drei Bänden wurde herausgegeben von Julius H. Schoeps, Alphons Silbermann, Hans Süssmuth und ist im Akademieverlag erschienen.

Oppenheimer (1864-1943), Nationalökonom und Professor der Soziologie, war gebürtiger Berliner. Er verstarb 1943 im US-amerikanischen Exil. In den 20er Jahren begründete er die "Frankfurter Schule". Oppenheimer, ein Verfechter des liberalen Sozialismus, hatte unter anderem Ludwig Erhard zum Schüler. Als Wirtschaftsminister und späterer Bundeskanzler goß dieser Oppenheimers Lehren in das Konzept von der Sozialen Marktwirtschaft und verschaffte seinem Lehrer so späte Gerechtigkeit: Der Sohn eines Predigers der jüdischen Reformgemeinde von Berlin mußte 1933 vor den Nazis fliehen.

Roman Herzog mahnte in seiner Rede vor gut 150 Gästen, darunter Ignatz Bubis und Oppenheimers Tochter Renata Lenart, an die Spielregeln der Sozialen Marktwirtschaft. Sie müsse frei sein, doch nicht von "kleinlichem Individualinteresse" getrieben, sondern von dem Interesse am Gemeinwohl. Solidarität der Bürger untereinander sei eine "Menschenpflicht", kein Recht, das dem Staat abgetrotzt werden könne. Herzog wandte sich gegen das Klischee, daß eine Planwirtschaft menschlich sei. Vielmehr hätten sich die Menschen aus der ehemaligen DDR "trotz der Reglementierung von Plan und Politik ihre eigene Humanität bewahrt." Beweise für den solidarischen Charakter der Marktwirtschaft sieht Herzog im Aufbau der Neuen Länder. Dort seien die Durchschnittslöhne 1994 auf 72 Prozent des Westniveaus gestiegen, die Altersrente hätte sich seit 1990 verdoppelt, Bund, Länder und EU hätten den Aufbau mit insgesamt 475 Milliarden Mark unterstützt.

Wenn die Deutschen ihren Wohlstand halten wollten, sagte Herzog, so müsse der Sozialstaat flexibler werden und die deutsche Technologie der internationalen Konkurrenz voraus sein: "Machen wir Innovation zu einem Breitensport", appellierte Herzog.

Von den Szenarien, die Oppenheimer einst entwarf, ist dies zwar weit entfernt - der dachte noch daran, eine freiheitliche Gesellschaft zu schaffen, indem aus der "industriellen Reservearmee" des Proletariats wieder Landbesitzer würden. Geblieben ist aber die Erinnerung an einen Denker, den Ludwig Erhard einst so charakterisierte: "Mein geliebter Lehrer war ein Mann, der mit heißem Herzen aber mit kühlem Kopfe an die Probleme herangegangen ist, und der alle verachtete, die in der Umkehrung mit schwülem Kopf und kaltem Herzen ein Volk beglücken zu können glaubten."

Copyright: DIE WELT, 28.9.1995