[S.324] Würdigungen der Persönlichkeit und des Lebenswerks Franz Oppenheimers
[S.325]
[S.326]
[S.327] WÜRDIGUNGEN AUS ANLASS SEINES 70. GEBURTSTAGES (1934)
Glückwunschtelegramm der „Graduate Faculty of Political and Social Science" in New York:
Die Graduate Faculty gedenkt mit herzlicher Bewunderung und dankbarer Verehrung des Meisters der Theorie und vorbildlichen Kämpfers für Freiheit und Gerechtigkeit und wünscht ihm den schließlichen Sieg seiner Sache und Glück für alle, die ihm verbunden sind.
Ascoli, Brandt, Brecht. Colm, Feiler, Heimann,
Hornbostel, Johnson, Kallen, Kantorowicz,
Lederer, Speier, Wertheimer, Wunderlich.
Glückwunschschreiben von Karl Mannheim:
Budapest, V. Sas-utca 1 24. III. 1934.
Sehr verehrter Herr Kollege,
auch ich möchte mich der Reihe jener anschließen, die gelegentlich Ihres 70sten Geburtstages sich mit den besten Wünschen nähern. Keiner von uns hatte gedacht, daß der weltgeschichtliche Hintergrund dieser Feier jene Gestalt annehmen wird, in der alles, was Vernunft und Güte repräsentiert, sich verstecken muß. Je finsterer aber der gegenwärtige Augenblick ist, um so wertvoller ist für die Wenigen, die die Tradition der Vernunft und der Aufklärung weiter zu pflanzen auch in diesen Zeiten auf sich genommen haben, Ihr Werk, das niemals aufgehört hat und niemals aufhören wird, im Sinne einer wirklichen Klärung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu wirken. Ich höre von Freunden, daß Sie auch in diesen schweren Zeiten mit einer unbesiegbaren Energie an Ihren Forschungen weiterarbeiten und ich wünsche Ihnen nur, daß Ihnen diese Ihre grandiose Vitalität und der Mut zum Wahren noch sehr lange erhalten bleibt.
[S.328] Ich sende Ihnen diese kurzen Zeilen von einer Vortragsreise aus Budapest, wo ich Gelegenheit fand, mit vielen Ihrer Bewunderer über Sie zu sprechen.
An meine herzlichsten Wünsche schließt sich auch meine Frau an.
In aufrichtiger Hochachtung
K. Mannheim
Ein Glückwunschschreiben der „London School of Economics" lt. folgender Photokopie.
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C. Verwey:
ZUR EHRUNG FRANZ OPPENHEIMERS
Vorbemerkung : Der Verfasser dieser Würdigung (ein naher Verwandter des holländischen Dichters Albert Verwey) gehörte zu den führenden Persönlichkeiten einer kleinen Partei der „Grondpar-tij", die in Holland für die Ideen Franz Oppenheimers eintrat. Seine Würdigung wurde Frühjahr 1934 im Organ dieser Partei, „De Nieuwe Aarde", publiziert und war vor allem für einen begrenzten Kreis von Freunden und Anhängern des zu Ehrenden bestimmt. — Ein Auszug aus dieser Würdigung erscheint hier erstmalig in deutscher Übersetzung. Dies geschieht aus der Einsicht heraus, daß sich bestimmte Charakterzüge einer Persönlichkeit nur einem verehrungsvollem Verständnis erschließen.
I.
Über Oppenheimer schreiben heißt über einen Menschen von großem Format schreiben. Er ist nicht nur ein Mensch von großem Wissen, sondern auch von großer Liebe; nicht nur von hervorragender Arbeitskraft, sondern auch von erstaunlicher Genialität. Und er ist nicht bloß ein theoretischer Geist ersten Ranges, sondern auch ein Mann der praktischen Einsicht und wohl erwogenen Tat.
Dieser Mensch von selten strengem logischen Denken ist zugleich ein dichterischer Geist. Seine wissenschaftlichen Werke sind „lesbar" [S.329] wie die nur weniger Gelehrter. Sie berühren uns immer wieder durch die Klarheit des Gedankens, die Lebendigkeit der Darstellung und die geistige Vorstellungskraft, mit der der Reichtum eines wahrhaft weltumfassenden Wissens dem Leser dargeboten wird.
Dieser in Berlin geborene und erzogene Jude aus einem seit Jahrhunderten in Deutschland wohnendem alten Geschlecht, Deutscher an Herz und Nieren, ist mit einem Stil begnadet, der den Leser gleichsam an eine glückliche Synthese von deutscher Gediegenheit und französischer Gefälligkeit denken läßt. Und eben diese große und reiche Persönlichkeit ist es, die allem seinem Schaffen den Reiz des ewig Neuen verleiht und den persönlichen Kontakt mit ihm als freudig genossenes Vorrecht empfinden läßt.
Oppenheimer ist für mich das klassische Vorbild eines Menschen, der aus dem Willen zur Praxis heraus Theoretiker wird. Worum es ihm stets eigentlich ging, war die Erneuerung menschlichen Zusammenlebens durch die Schaffung einer Gesellschaft gleichberechtigter Partner. Von ihm stammt das Wort: „Nichts ist so praktisch wie die Theorie", und auch das andere: „Der Sozialismus ist ein Hochziel der Menschheit."
II.
Von Oppenheimer gilt das Wort des 92. Psalms von den Rechtschaffenen, die in des Ewigen Hause gepflanzt sind. Noch im Alter tragen sie Frucht, um zu verkünden, daß der Ewige gerecht ist.
Seine fast übermenschliche Arbeitskraft und seine Vereinigung von wissenschaftlichem und praktischem Geist würden ihn zwar zu einem bemerkenswerten, jedoch noch nicht zu dem großen Manne machen, als den ich ihn hier würdigen will. Was ihn in meinen Augen zu einem großen Manne macht, ist die Liebe zur Menschheit, die ihn zu seiner weitgespannten Arbeit trieb und noch heute treibt — als hätte er sich das Apostelwort zum Lebensspruch erkoren: „Und wenn ich alles Verborgene wüßte und alle Sprachen spräche und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts!" Sein unvergänglicher Ruhm soll es bleiben, daß er sich bedingungslos in den Dienst der Menschheit gestellt und nicht geruht hat, bis er die wissenschaftliche Welt zur Beachtung seines Werks zwang.
[S.330] Dieses Werk läßt sich als das einer Befreiung von den Fesseln einer trügerischen Illusion bezeichnen: nämlich der Illusion, daß die himmelschreiende Ungleichheit unter den Menschen aus ewigen Eigengesetzen jedes menschlichen Gemeinschaftslebens hervorgehe, daß also Gleichheit nur durch Zerstörung dieser ewigen Gesetze und Unterdrückung der menschlichen Freiheit zu erreichen sei! Dem allen entgegen hat Oppenheimer immer wieder auf neuen Wegen den Nachweis geführt, daß jede normal verlaufende gesellschaftliche Entwicklung Freiheit und Gleichheit zusammen realisiert, so daß die Freiheit die Gleichheit voraussetzt und umgekehrt. Normal ist nur der Ablauf der Entwicklung, der sich „organisch" aus den einer Wirtschaftsgesellschaft eigenen friedlichen Mitteln der Arbeit und des Tausches ergibt, ohne durch auf Aneignung fremden Arbeitsertrages gerichtete politische Mittel gestört und abgelenkt zu werden.
Es ist seine tiefe Überzeugung, daß eine nicht mehr durch außerökonomische Gewalt gestörte Menschheit eine harmonische Lebensgemeinschaft bilden wird. Und er glaubt an die Einheit von Recht und Sittlichkeit. Aus beidem fließt ihm die unverwüstliche Kraft, mit der er die Wahrheit seiner Einsicht in immer neuen wissenschaftlichen Werken bezeugen will. — Und daß sich sein Wort bisweilen zu seelendurchdringendem Anruf erhebt — ein Zeugnis des tiefen Aufruhrs, dem diese mächtige Persönlichkeit zur Beute werden kann, — das eben beweist, wie sehr sein wissenschaftliches Werk von einer Leidenschaft für Wahrheit und Recht getragen wird.
„Unausrottbar ist der Glaube der Menschheit, daß es einen Weg geben muß zur Wahrheit und Gerechtigkeit; unwiderstehlich ist ihr Wille, diese Ziele zu erreichen. Das ist die Kraft, die den Spartakisten und Bolschewisten die Massen zuführt und sie selbst denjenigen sympathisch macht, die ihre Mittel zum Ziele für verwerflich und verderblich halten. Sie haben den Schwung, den nur der Glaube gibt. Wenn ihr, ihr Männer des öffentlichen Vertrauens, den Massen keinen anderen, besseren Weg zu weisen wißt, so geht das Verhängnis seinen ehernen Gang. In euer Gewissen schiebe ich die Entscheidung."*)
*) Aus der nach dem Zusammenbruch Deutschlands 1919 geschriebenen Schrift: „Kapitalismus, Kommunismus, wissenschaftlicher Sozialismus".
[S.331] Es ist tiefe, wahre Menschlichkeit, die aus solchen Äußerungen spricht. Und obwohl sie nach Ansicht der Wissenschaftler nicht in ein wissenschaftliches Werk gehören, verleihen doch gerade sie dem Manne, den wir heute zu seinem 70. Geburtstag ehren wollen, für uns eine besondere Würde. Hier ist ein Wissenschaftler von hohem Rang, in dem der Mensch nicht in der Wissenschaft untergegangen, sondern die Wissenschaft ganz und gar dem Dienst der Menschheit treu geblieben ist.