[S.332] WÜRDIGUNGEN NACH SEINEM TODE (1943/44)

Eduard Heimann:

FRANZ OPPENHEIMER

Franz Oppenheimer ist im 80. Lebensjahr in Los Angeles gestorben. Er war arm und einsam und schon lange nur durch seine ungebrochene Geisteskraft und durch die Liebe, die ihn mit seiner spätgeborenen Tochter verband, am Leben gehalten.

Man wird ihm nicht gerecht, wenn man nur sagt, daß er ein großer Gelehrter war. Es schien, als ob in ihm die großen Befreier des menschlichen Geistes im 17. und 18. Jahrhundert wieder aufgestanden seien, in neuer und origineller Gestalt. Er teilte ihren flammenden Glauben an die Kraft der menschlichen Vernunft, die Welt zu ordnen, und an die Freiheit, in der allein Ordnung gedeihen kann. Er war ein Liberaler jenes alten, revolutionären, heroischen Schlages, der sonst längst ausgestorben ist. Das war seine Größe, und es war seine Tragödie in einer Zeit, in der Vernunft und Freiheit in ihr Gegenteil umzuschlagen scheinen und zu ihrer Rechtfertigung einer neuen Einordnung bedürfen.

Er war nicht Philosoph, wie seine Vorgänger, sondern Soziologe und Ökonom. Denn es war seine These, daß in der freien bürgerlichen Gesellschaft ein Element der Unfreiheit beibehalten ist und ihre Harmonie verzerrte: das Großgrundeigentum. Es ist unbürgerlichen Ursprungs; nur ein Sklavenhalter kann auf den Gedanken kommen, sich mehr Land anzueignen, als er selber bebauen kann. Der Staat ist nicht nur der Hüter des Gesetzes, sondern ursprünglich der Hüter der Sklaverei und der Bodensperre, die der erobernde Stamm dem unterworfenen Stamm auferlegt. Und als die Sklaverei abgeschafft wird, da müssen sich die Freien als Landarbeiter oder Fabrikarbeiter verdingen, zu Löhnen, die sie niemals anzunehmen brauchten, wenn ihnen nicht die Bodensperre den Zugang zur Selbständigkeit des freien Bauern abschnitte. Genossenschaftliche Siedlung auf den Großgütern würde den städtischen Arbeitsmarkt entlasten und dadurch den Lohn hinauf treiben und den unpersönlichen Kapitalgewinn aufsaugen. So würde der Kapitalismus, „Bastard aus

*) „Der Aufbau", New York, 8. 10. 1943.

[S.333] Knechtschaft und Freiheit", in eine „Gemeinschaft der Freien und Gleichen" umgewandelt, die Alternative zur Zwangsordnung des Sozialismus.

Eine Fülle kraft- und geistvoller Werke entstammen seiner Feder, von denen das berühmteste und meistübersetzte „Der Staat" ist. Die anderen, alle der gleichen zentralen Idee dienend, enthalten die Geschichte und Soziologie der Genossenschaft, die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Mittelalters, die kritische Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Nationalökonomie der Malthus und Ricardo einerseits, mit Marx andererseits, und vor allem die Theorie des Wirtschaftssystems unter dem Druck des Bodenmonopols. Sie alle sind durchdringend in der Kritik und monumental in der Konstruktion, und alle atmen den Geist des furchtlosen Kämpfers. So ist es natürlich, daß er stets ein Outsider blieb, obgleich er es in vorgerückten Jahren zum Ordentlichen Professor brachte.

Der ganze Mann war die unbändige Kraft selber. Der gedrungene Wuchs, die blitzenden Augen, die Schmisse im Gesicht, der geliebte urberliner Jargon ließen keinen Zweifel: dies war ein Original, und ein ungewöhnlicher Mensch. Feurige Verse verherrlichen den Überschwang der Jugend, den er mit seinen Freunden Liliencron und Dehmel gefeiert hat. Bis in vorgerückte Jahre blieb er ein eifriger Dolomitenkletterer. Und als während seiner Studienzeit die Welle des Stöckerschen Antisemitismus über die Universität ging, da stand Franz Oppenheimer vor den Hörsälen und bot seine Visitenkarte zur Annahme aus, an alle Diejenigen, die es wagen wollten, sich mit ihm, dem Juden, zu messen; er war ein gefürchteter Fechter, und diente stets der gerechten Sache.

[S.334] Ludwig Pinner

DEM ANDENKEN FRANZ OPPENHEIMERS*)

Noch nicht ein Jahr nach dem Hinscheiden Arthur Ruppins trifft uns die Nachricht von dem Ableben Franz Oppenheimers, einer der großen Persönlichkeiten, an denen die Frühzeit der zionistischen Bewegung so reich war. Oppenheimer und Ruppin waren an einem der interessantesten Werke des Beginns zionistischer Kolonisation miteinander verbunden, und beide haben, wenn auch in sehr verschiedener Weise und in verschiedenem Maße, die Formen der landwirtschaftlichen Kolonisation unserer Bewegung mit gestaltet.

Beide kamen aus Deutschland, aus völlig assimiliertem Milieu; das Denken von beiden war geschult an den Methoden westeuropäischer Wissenschaft, und beider Gebiet war die Soziologie, eine verhältnismäßig neue Wissenschaft, zu deren Begründern Franz Oppenheimer gerechnet werden kann. Beiden Männern gab die Begegnung mit dem Zionismus und mit den jungen Arbeitern der zweiten Alijah Gelegenheit, ihre Ideen in die Wirklichkeit umzusetzen.

Und doch, wie verschieden erscheint heute ihre Wirkung und Entwicklung! Ruppin war, obwohl er von der Rechtswissenschaft herkam, ein typischer Vertreter der induktiven Denkweise; aus Erfahrungen und Versuchen versuchte er zu einer Methode und einem Gesamtplan zu gelangen und diesen in der jüdischen Wirklichkeit Palästinas selbst durchzuführen; seine wissenschaftliche und praktische Betätigung war nur auf das Jüdische gerichtet, seine Soziologie war eine Soziologie der Juden. Im Gegensatz dazu war Oppenheimer, obwohl gerade er von den Naturwissenschaften herkam, ein deduktiver Denker. Auf Grund tiefschürfender Analyse und einer Kritik der bestehenden ökonomischen Theorien baute er sein Gebäude der gesamten Soziologie auf, um die Grundlagen der menschlichen Gesellschaft überhaupt auf eine neue Basis zu stellen, und begründete eine Lehre, die für alle Völker Geltung haben solle. Aber die Triebfeder beider war eine jüdische Ethik; beide waren in charakteristischer Weise jüdische Reformer.

*) „Hameshek hasair" („Der Kleinbetrieb"), Monthly Review devoted to Agriculture in Palestine, Vol. V, No. 2, Tel Aviv, November 1943.

[S.335] Die Bedeutung Franz Oppenheimers kann daher nicht an dem praktischen Erfolg des Versuchs gemessen werden, durch den er in unserem Lande bekannt geworden ist. Oppenheimer wollte dem jüdischen Aufbau in Palästina helfen durch Anwendung wissenschaftlicher Theorie als Grundlage einer umfassenden Volkskolonisation in Erez Israel. Er hat diesem Versuch, der gleichzeitig seine Theorie an einem praktischen Beispiel beweisen sollte, viel Hingabe und Kraft gewidmet; aber es war nur eine Episode in seiner Laufbahn als Begründer einer neuen Schule der Soziologie.

Angeregt von den Vorschlägen des gleichfalls jüdischen Wirtschaftsforschers Hertzka trat Oppenheimer zum ersten Mal im Jahre 1895 mit einer Arbeit „Freiland in Deutschland" hervor, der er im folgenden Jahr eine andere folgen ließ, die den Titel führte: „Die Siedlungsgenossenschaft, Versuch einer positiven Überwindung des Kommunismus durch Lösung des Genossenschafts-Problems und der Agrarfrage".

Schon in dieser ersten Schrift bezeichnete er das wichtigste Heilmittel, das er zur Herbeiführung einer gerechten Ordnung der Gesellschaft vorschlug, und die Grundlinie, an der er sein ganzes Leben hindurch festhielt. In einer Reihe von weiteren Büchern und Artikeln setzte er sich dann kritisch mit den Lehren von Malthus, Ricardo und Marx auseinander, denen er seine Theorie der Soziologie gegenüberstellte. Er schuf eine „Neu-Begründung der objektiven Wertlehre". Er wurde sowohl von der zünftigen Nationalökonomie wie von den Anhängern des Marxismus, sowie auch als jüdischer Reformer scharf befehdet und hat seine Lehren in unzähligen Kampfschriften und Reden immer wieder aufs neue verteidigt und begründet. Es gelang ihm aber, sich in der einem jüdischen Bodenreformer so antagonistischen Atmosphäre Deutschlands eine weitreichende Anhängerschaft und wissenschaftliche Achtung zu verschaffen. Er wurde schließlich Ordentlicher Professor der Universität Frankfurt a. M., und die preußische damals sozialistische Regierung gab ihm die Möglichkeit, mit staatlichen Mitteln den Versuch einer Siedlungsgenossenschaft in Deutschland durchzuführen.

Daß es Oppenheimer gelungen ist, entgegen den herrschenden wissenschaftlichen und politischen Strömungen sich so weitgehend durchzusetzen, beruhte in nicht geringem Grade auf der ungewöhnlichen Wirkung, die von seiner Persönlichkeit ausging, seinem besonderen [S.336] Charme und seiner unwiderstehlichen Überzeugungskraft. Wer ihn je gehört hat, sei es auf der Kanzel der Universität oder der Tribüne des Kongresses oder in einer Diskussion mit jungen Arbeitern in Palästina, niemand wird den Eindruck vergessen, der von ihm ausging: ein großer Lehrer, ein furchtloser Kritiker und ein Kämpfer für den menschlichen Fortschritt. Voll sprühender Lebhaftigkeit und in meisterhafter Beherrschung der Sprache verband er geistvoll pointierte Argumentation mit wissenschaftlicher Gründlichkeit und Logik. Seine Darstellung in Wort und Schrift war trotz der fechterischen Eleganz seiner Sätze stets getragen von der Leidenschaft und Wucht, die von dem Gefühl ehrlichster Überzeugung und einer inneren Sendung ausstrahlten.

Es ist hier nicht der Ort, auf die allgemeinen soziologischen Theorien Oppenheimers näher einzugehen, deren Darstellung eine Abhandlung für sich erfordern würde. Nur soviel sei gesagt: im Zentrum seines Werkes stand die Bodenreform. Er sah in der „Bodensperre" durch das Privateigentum am Boden und in der daraus folgenden „Bodenrente" das entscheidende Grundübel der Gesellschaft, dessen Aufhebung auch die Lage des Industrie-Proletariats verbessern müsse. Er empfahl die Siedlungsgenossenschaft als ein Mittel, besitzlose Arbeiter zu selbständigen Landwirten zu machen unter Beibehaltung des Prinzips der Privatinitiative und des Profitmoments und mit dem gleichzeitigen technischen Vorteil des Großbetriebs.

Oppenheimer war ein Kind des liberalistischen Zeitalters und von tiefer humanistischer Prägung. Er wollte auf den Reichtum der geistigen und materiellen Möglichkeiten für die Entwicklung des einzelnen nicht verzichten. Aber er hatte die Schäden der ungehemmten wirtschaftlichen Freiheit des Individuums frühzeitig erkannt und versuchte durch das Mittel der Bodenreform und Genossenschaft den Übeln der kapitalistischen Gesellschaftsordnung abzuhelfen. Sein Ziel war, eine neue Gesellschaftsordnung einzuleiten, begründet auf sozialer Gerechtigkeit, aber mit dem Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit. Als liberalistischer Sozialist und echter Demokrat versuchte er, der herankommenden Welle des marxistischen Kommunismus eine konstruktive Lösung entgegenzustellen. Es ist interessant festzustellen, wie dieser jüdische Gesellschaftsreformer schon vor mehr als vierzig Jahren Erkenntnisse hatte, die sich heute in den fortschrittlichen Kreisen der westlichen [S.337] Demokratien mehr und mehr durchsetzen, nachdem die Welt durch die unsagbaren Leiden von Wirtschaftskrisen und zwei Weltkriegen dafür reif geworden ist.

Der Vorschlag Herzls zur Lösung der Judenfrage war auch ein Produkt des liberalistischen Zeitalters, das den modernen Nationalstaat hervorgebracht hat. Auch Herzl verband mit ihm die Vorstellung einer gerechteren sozialen Ordnung, als er sie in der kapitalistischen Welt vor sich sah. Oppenheimer seinerseits war trotz seiner Verwurzelung in Deutschland ein stolzer, wie er es nannte „stammesbewußter" Jude, und so war die Begegnung beider Männer im Zionismus kein Zufall. Herzl, der im Jahre 1902 Oppenheimer kennenlernte, war von seiner Lehre tief beeindruckt, wovon auch sein Roman „Altneuland" Zeugnis ablegt. Dem sechsten Kongreß, sieben Jahre vor der Gründung der Kwuzah in Daganiah, unterbreitete Oppenheimer zum ersten Male seinen Vorschlag der genossenschaftlichen Kolonisation. Es ist kein Zweifel, daß Oppenheimers Einfluß viel dazu beigetragen hat, die zionistische Bewegung zu gewinnen für das Prinzip der Erbpacht und der Genossenschaftssiedlung, beides Eckpfeiler seiner Lehre und der zionistischen Kolonisation.

Der neunte Kongreß, der den Sieg der „praktischen" Richtung brachte, beschloß einstimmig die Errichtung einer „Siedlungs-Genossenschaft" in Erez Israel, von deren Erfolg man sich die Lösung des Finanzproblems der Kolonisation versprach. Oppenheimer reiste 1910 zur Vorbereitung des Projektes nach Palästina. Der Zufall wollte es, daß gerade um diese Zeit Chankin und Ruppin den Kauf von Merchawia abgeschlossen hatten, und so wurde hier der Versuch der „Siedlungs-Genossenschaft" unternommen, der dadurch gleichzeitig der erste Schritt zur Erschließung des Emek wurde.

Es soll hier nicht auf die Hoffnungen und Enttäuschungen, auf die Kämpfe und Opfer eingegangen werden, die das Experiment Merchawia auslöste. Schwierigkeiten objektiver Art kamen zusammen, die, wie man heute sagen muß, dem Experiment vom Beginn keine faire Chance gaben. Merchawia war der erste jüdische Punkt im Emek und hatte vom ersten Tage an von den Überfällen feindlicher Nachbarn zu leiden. Die türkische Regierung legte der Wirtschaft unvorstellbare Schwierigkeiten in den Weg. Der Boden war durch jahrhundertelange Mißwirtschaft verarmt, und die Probleme des Übergangs von der primitiven zur modernen Landwirtschaft harrten noch ihrer Lösung. Erfahrene landwirtschaftliche [S.338] Arbeiter standen nur in sehr beschränktem Maße zur Verfügung. Die Malaria forderte Jahr für Jahr Opfer an Gesundheit und Leben, die das Ausharren der Genossen als ein Heldenwerk der jüdischen Kolonisation erscheinen lassen.

Waren schon diese objektiven Schwierigkeiten ausreichend, den an sich gewagten Versuch einer neuen Siedlungsform zum Scheitern zu bringen, so kamen noch besondere psychologisch-soziale und ideologische Momente hinzu, die letzten Endes dazu führten, den Versuch 1918 aufzugeben.

[S.339] Alvin Johnson:

FRANZ OPPENHEIMER*)

I.

Um Franz Oppenheimers Lebenswerk recht zu würdigen, müßte man eine ausführliche Biographie schreiben. Wie weit sich seine geistige Tätigkeit erstreckte, zeigt die diesem Hefte beigefügte Bibliographie.

Will man auch nur Oppenheimer selbst wirklich verstehen, so setzt schon dies eine ausgedehnte Lektüre in seinen Werken voraus. Denn dieser überaus schöpferische Geist konnte sich nie in die Grenzen eines einfachen Themas einschließen. Sein „System der Soziologie" ist viel mehr als nur eine Abhandlung über Soziologie. Denn seine soziologischen Grundsätze und vor allem Beobachtungen sind unauflöslich mit ökonomischen, finanziellen, administrativen, juristischen und ethischen Themen verwoben. Und sein „Grundriß der theoretischen Ökonomik" verblüfft den Studierenden, der die heroischen Vereinfachungen und das starre logische Gefüge der nach klassischem Muster konstruierten Lehrbücher gewöhnt ist.

Als Polemiker war er ein ausweichender Fechter, der seine Kampfart bei geistigen Auseinandersetzungen immer wieder zu ändern verstand und so seine weniger behenden Gegner in Verwirrung brachte. Wie die meisten Menschen von enzyklopädischem Wissen und fruchtbarem Geist, kümmerte er sich wenig um Gradlinigkeit (consistency). Er war ein alles verschlingender Leser und großzügig geneigt, anderen ein Verdienst anzurechnen. Bei mir liegen noch Briefe, in denen er mir bedeutsame Beiträge zur Agrarphilosophie zuschreibt, — auf Grund von Artikeln, für die ich nie mehr als bloßen „common sense" in Anspruch genommen haben würde.

So führt er z. B. einen wesentlichen Teil seiner eigenen Agrar-doktrin auf Henry George zurück. In Wahrheit aber stehen beide Lehren auf völlig verschiedenen Ebenen. Denn Henry George war ein kompromißloser Individualist. Nach seiner Lehre würde es genügen, dem kleinen Mann Zugang zum Boden zu geben, um ihn

*) „The American Journal of Economics and Sociology", April 1944, übersetzt von L. Y. Oppenheimer (leicht gekürzt).

[S.340] vollkommen auf eigene Füße zu stellen. Denn die „einzige Steuer" auf die Grundrente würde das Land befreien und zugleich dem arbeitenden Landwirt alle direkten und indirekten Steuern abnehmen. Was Henry George mit seinen Invektiven treffen wollte, war zwar auch das „Boden-Monopol", aber nur in einem spezifisch-engen Sinne: in dem der Zurückhaltung von nicht genutztem Land, um erhöhte Preise zu erzielen.

Oppenheimer haßte Latifundien; daher würde er eine zur Aufteilung des europäischen Großgrundbesitzes führende Grundsteuer sehr begrüßt haben. Doch richtete sich sein Feuer keineswegs nur gegen die Bodenspekulation. Denn das typische europäische Landgut war gewiß kein Spekulationsbesitz, der mit steigenden Preisen veräußert werden sollte. Er war ein feudales Privileg, das eine Aristokratie im Glanz erhielt und den landwirtschaftlichen Arbeiter faktisch zur Hörigkeit herabdrückte.*) Und darum war die Aufteilung**) dieses Großgrundbesitzes für ihn ein wesentliches Element guter demokratischer Politik.

Von der Wiedereinsetzung des Bauern in seinen Besitz erwartete er gewaltige Fortschritte im Ackerbau. Er dachte jedoch zu realistisch, um seine Reform auf dem bäuerlichen Individualismus beruhen zu lassen. Er sah, daß eine gesunde Agrarpolitik die Schaffung eines Netzwerks haltgebender bäuerlicher Genossenschaften erfordert, das den Bauern als Grundlage eines heilsamen und befriedigenden Lebens dienen kann.

II.

Die moderne Wirtschaftswissenschaft wurde teils durch Gelehrte aus städtischem Erfahrungsbereich, teils durch solche Menschen vom Lande aufgebaut, die sich den städtischen Auffassungen angepaßt hatten. So ist diese Wissenschaft unbewußt von der Auffassung durchdrungen, daß der natürliche Aufenthaltsort des Menschen die städtische Straße sei. Gewiß müßten Menschen auf dem Lande leben, um dort Nahrungsmittel und Rohstoffe zu erzeugen. Man könnte sich jedoch auf den wirtschaftlichen Fortschritt verlassen, der den Anteil dieser zum Leben auf dem Lande verurteilten Bevölkerung ständig vermindern würde.

*) „ground down the agricultural worker in virtual serfdom"
**) „breaking up"

[S.341] Denken wir einmal an die sogenannten landwirtschaftlichen Ökonomisten, die französischen Physiokraten zurück. Ihre Politik verfolgte das Ziel, das „Netto-Produkt", also den zur Erhaltung von Städtern verfügbaren Überschuß der landwirtschaftlichen Erzeugung über den ländlichen Verbrauch, so groß wie nur möglich zu gestalten. Daher begünstigten sie die großbetriebliche Landwirtschaft, weil sie Arbeitsersparnisse ermöglicht und so die am Nettoprodukt nagende ländliche Bevölkerung vermindert.

Nicht anders als die Physiokraten, war auch Adam Smith primär an den Fragen der städtischen Wirtschaft interessiert. Doch ging er bei seiner Behandlung der Fragen der großen Landwirtschaft weniger gradlinig vor. Denn die großen Landwirte waren zugleich auch Grundherren; als solche neigten sie wie alle Menschen dazu, auch da zu ernten, wo sie nie gesät hatten; und das mußte zur Entstehung der Grundrente und der mit ihr verknüpften sozialen Schäden führen.

Die bis heute herrschende Einstellung der städtischen Ökonomisten zum Landleben wurde jedoch nicht durch ihn, sondern erst durch Ricardo und seine fast komische Auffassung von den „ursprünglichen und unzerstörbaren Eigenschaften des Bodens" fixiert. Hiergegen stellte John Stuart Mills Studium der bäuerlichen Grundbesitzer eine Reaktion dar, deren Einfluß jedoch allzu gering blieb. Dies zeigt gerade Henry Georges eigenes Denken: mit allen den großen Verdiensten, die er sich durch seinen Feldzug gegen die spekulative Zurückhaltung landwirtschaftlichen Bodens erworben hat, blieb er doch, wie er selbst versicherte, ein durch und durch überzeugter Ricardianer und, wie wir hinzufügen dürfen, ein durch und durch städtischer Geist.

Obwohl Oppenheimer eine lange vom Landleben ausgeschlossene soziale Gruppe repräsentierte, wurde er doch durch ein völlig andersartiges Prinzip beherrscht: bei einer der seltenen Gelegenheiten, bei denen ich mit ihm zusammentraf, sagte ich ihm, seine wirtschaftliche Grundauffassung liege wohl darin, daß alles Fleisch Gras, — und daß es daher höchste Pflicht des Menschen sei, das Gras und all' das, was der Boden sonst noch trägt, zu bewahren! Er lächelte und sagte: „Vielleicht?"

[S.342] III.

Für uns ist Oppenheimer kein Stadtgarten-Ökonomist, sondern ein auf dem Grenzsaum zwischen Wüste und besätem Lande stehender alttestamentarischer Prophet. Sehr lebhaft spürt er das gebieterische Begehren der Wüste, auf das besäte Land überzugreifen. Nichts als ländliche Manneskraft kann ihr Einhalt tun.

In seinem umfassenden Geist war alles Geschichte. Er sah, wie die Größe Babylons durch Verschlammen der Bewässerungskanäle der Wüste erlag. Die ländliche Manneskraft war zu katastrophal zurückgegangen, um die Gräben noch offenhalten zu können. Und

„Jetzt ziehen Löw' und Echse ihren Gang,
Wo Jamshyd prunkte und nahm tiefen Trank."

Von einem ähnlichen Schicksal wurde, wie Oppenheimer wohl wußte, auch das Land von Milch und Honig, Korn und Wein — Palästina — befallen. Nur die Landbevölkerung hatte die Wüste ferngehalten, indem sie die Terrassen auf den Hügeln instand hielt und die Wälder auf den Steilhängen vor gewissenloser Ausbeutung bewahrte. Durch eine Folge sich ablösender Eroberer wurde diese Landbevölkerung verschleppt oder erschlagen. Der Bauer, der das Land kannte und liebte, wich den Beduinen, den schwarzen Heuschrecken und den Ziegen, die durch Vertilgung jedes jungen Triebes die Wälder verkommen ließen. So blieb schließlich nur noch eine wüste Einöde zurück, die erst jetzt*) unter einem wenig sozialen britischen Mandat von den Juden wieder aufgebaut wird.

Oppenheimer wußte, daß das unter den Römern blühende Nordafrika heute halb zur Wüste geworden ist. Unter dem türkischen Huf, sagt das Sprichwort, wächst kein Gras, und die Spuren dieses Hufes prägten sich dem ganzen Lande bis zu den Säulen des Herkules auf.

Wo findet man all' das bei Oppenheimer? Mit allen Einzelheiten nirgends; man findet es jedoch in anderer Ausdrucksweise. Wie ich aus persönlichen Unterhaltungen weiß, war Oppenheimer tief an der durch Henry Wallace inspirierten aktiven Bewegung zur Bewahrung des Bodens interessiert. Er fühlte jedoch, daß ihr noch etwas fehlte: Auf den Bebauer des Bodens selbst wurde allzu wenig Wert gelegt!

*) 1944.

[S.343] Und darin hat er Recht! So gut es ist, daß wir uns um die Erosion der Böden Sorgen machen — die Erosion der Farmbevölkerung ist das primäre Problem. Wir können die Kraft dieser Bevölkerung in unsere städtischen Industrien ziehen. Dann werden nur noch alte Leute, Krüppel, Lahme und Blinde zurückbleiben, um aus verfallendem Lande eine kümmerliche Existenz zu ziehen. Es ist immer noch möglich, neuere Länder und jüngere Völker zu finden, die uns ernähren werden: Dennoch breitet sich die Wüste aus!

Einmal werden wir schließlich eine Ökonomik wirtschaftlicher Realitäten bekommen. Sie wird anerkennen, daß die Fortdauer des Menschengeschlechts nur auf dem Boden und der ihn nützenden und schützenden Manneskraft beruht. Und wenn wir auf diese Höhe vernünftiger Einsicht gelangt sein werden, dann werden wir Franz Oppenheimers Werke von neuem studieren: als die eines Historikers der Vergangenheit und eines Propheten der Zukunft.