Zur Gegenwart und Zukunft einer tragfähigen Sozialen Marktwirtschaft.
Vortrag, Lorsch 25.09.2005,
Meine sehr geehrte Damen und Herren,
Herr Prof. Hempel hat mich gebeten heute über Franz Oppenheimer und eine in der Gegenwart tragfähige Soziale Marktwirtschaft zu referieren.
Nimmt man die drei Substantive des vergebenen Auftrages, lassen sich Vermutungen formulieren, nämlich
- dass unsere Wirtschaft vielen grundlegenden Änderungen unterliegt, die zu Oppenheimers Zeiten kaum vorhersehbar waren und für die wir bei ihm möglicherweise keinen Rat finden und
- dass wir in einer Sozialen Marktwirtschaft leben, die, inzwischen in die Jahre gekommen, brüchig geworden ist und einer Verstärkung oder Erneuerung durch Oppenheimer bedarf.
Ich habe für Sie einleitend eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute Nachricht betrifft den Gegenwartsbezug. Denn Oppenheimer hat nur einen kleinen Teil seiner Energie darauf verwendet, die konkreten sozialen Fragen seiner Zeit zu lösen. Im Wesentlichen hat er uns ein alternatives Wirtschaftsmodell hinterlassen und eine wissenschaftliche Methode, die beide zeitlos sind. So konnte er damals und können wir heute gleichermaßen auf dasselbe Modell und dieselbe Methode gestützt Antworten geben.
Die schlechte Nachricht ist, dass wir gegenwärtig gar keine Soziale Marktwirtschaft haben, die wir reparieren, fortschreiben oder erneuern könnten. Wie sollten wir auch von einer „Sozialen Marktwirtschaft“ sprechen, wo sich doch die gleichzeitige Existenz eines entfalteten Sozialstaates und einer Sozialen Marktwirtschaft gegenseitig ausschließt. Die Tatsache, dass wir einen Sozialstaat benötigen, der als Reparaturbetrieb unserer gegenwärtigen Marktwirtschaft fungiert, beweist die Nicht-Existenz einer Sozialen Marktwirtschaft, denn in einer Sozialen Marktwirtschaft wären die Regeln des Wirtschaftssystems so eingestellt, dass die als „sozial“ bezeichneten Qualitäten durch das wirtschaftliche Handeln der Individuen bereits hervorgebracht würden.
Die in der wissenschaftlichen Literatur und Öffentlichkeit verbreitete Behauptung, die Kombination aus kapitalistischer Marktwirtschaft und Sozialstaat würde die Soziale Marktwirtschaft ausmachen, ist geradezu grotesk. Nichts könnte wirkungsvoller das Aufkommen einer Sozialen Marktwirtschaft verhindern und die Sinne vernebeln als diese Behauptung.
Eine Marktwirtschaft wird nicht dadurch sozial, dass sie einerseits vielen Menschen die Hände bindet und dafür eine steuerfinanzierte Rente bezahlt, während die unsoziale Marktwirtschaft vielen Menschen die Hände bindet ohne eine Rente zu bezahlen. Nein, eine Marktwirtschaft wird dadurch sozial, dass jeder, der eine Leistung vom Markt nehmen möchte in der Lage ist, durch eigene Arbeit geeignete Tauschwerte anzubieten.
In diesem letzten Satz finden Sie bereits einen Hinweis auf das Marktgleichgewicht bei Vollbeschäftigung im Oppenheimerschen Modell. Vollbeschäftigung herrscht, wenn jeder, der eine Leistung vom Markt nehmen möchte in der Lage ist, durch eigene Arbeit geeignete Tauschwerte anzubieten. Ganz einfach. Wir werden die Bedeutung des Satzes später noch vertiefen, wenn wir über den Arbeitsmarkt als wichtigsten und kritischsten Markt reden.
Drei Aufgaben sehe ich bis dahin vor mir. Ihnen erstens zu belegen, dass wir nicht einfach eine Marktwirtschaft praktizieren, sondern eine kapitalistische Marktwirtschaft. Zweitens, dass die Idee Oppenheimers in seiner Ausführung durch Ludwig Erhard auf einem Modell beruht, das sich geradezu paradigmatisch von dem der kapitalistischen Marktwirtschaft unterscheidet. Und drittens möchte ich Ihnen die angesprochene Methode erläutern, mittels derer sich die Probleme der kapitalistischen Marktwirtschaft analysieren und lösen lassen.
Bevor ich auf die genannten drei Punkte eingehe, ein Hinweis zu Oppenheimers Lebenswerk. Bei Franz Oppenheimer dreht sich im Grunde alles – wie bei vielen bedeutenden Wissenschaftlern -nur um einen einzigen Punkt: die Transformation der kapitalistischen Marktwirtschaften in soziale Marktwirtschaften. Franz Oppenheimer nannte sein Modell als erster in der Literatur den „Dritten Weg“ jenseits von Kapitalismus und Kommunismus. Sie finden bei Oppenheimer für den Dritten Weg auch die Bezeichnung des „liberalen Sozialismus“, was in Oppenheimers Übersetzung soviel bedeutet wie die Gesellschaft der Freien und der Gleichen. Unter Ludwig Erhard wurden die Begrifflichkeiten verändert, wohl aus Rücksicht auf Partei und Volk, das mit „Sozialismus“ inzwischen nur noch Negatives verband. Erhard machte aus dem „liberalen Sozialismus“ einen „sozialen Liberalismus“ und aus Oppenheimers „Gesellschaft der Freien und der Gleichen“ wurde bei Erhard dessen Schlagwort von der „formierten Gesellschaft“. Um den vielen Namen für die gleiche Sache zu entgehen, bleibe ich hier begrifflich bei der Gegenüberstellung von kapitalistischer und sozialer Marktwirtschaft.
Beginnen wir mit Punkt eins. Der Begriff „Marktwirtschaft“ ist ein rein ökonomischer und kein soziologischer Begriff. Ob die Marktwirtschaft Armut oder Reichtum hervorbringt, steht bei ihrer Erforschung nicht im Vordergrund, sondern die Funktionsweise und Wirkung des Preisbildungsprozesses und die erwartbaren Aktionen ökonomisch rational handelnder Akteure. Die auf diesem Gebiet gewonnenen Erkenntnisse sind richtig und gelten in einer kapitalistischen Marktwirtschaft gleichermaßen wie in einer sozialen Marktwirtschaft. Doch so, wie man auch mit Hilfe der Kernspaltung friedliche oder kriegerische Ziele verfolgen kann, hängt auch das Resultat der Marktwirtschaft von weiteren, gesellschaftlichen Faktoren ab. Diese Faktoren zu erfassen ist Aufgabe der Soziologie. Franz Oppenheimer war als Soziologe und Nationalökonom auf beiden Gebieten kundig. Er sprach im Übrigen nie von einer Volkswirtschaft, sondern stets von der Wirtschaftsgesellschaft und ihrer Gesellschaftswirtschaft, also den Menschen, die diese Wirtschaftsgesellschaft bilden und nach ihren Regeln und historischen Gegebenheiten eine Gesellschaftswirtschaft betreiben. An dieser Stelle spüren Sie bereits den paradigmatischen Unterschied zur reinen Volkswirtschaftslehre, die sich selber als ahistorisch und wertneutral versteht. Oppenheimer hat die gesellschaftlichen Verhältnisse, und da insbesondere die Machtverhältnisse, besser noch die Macht-und Ohnmacht verschiedener gesellschaftlicher Gruppen in ihrer Beziehung zueinander, mit in die Analyse des Marktgeschehens einbezogen. Nur so sind die Begriffe „kapitalistisch“ und „sozial“ als gegensätzliche mögliche Ausprägungen einer Marktwirtschaft zu verstehen.
Von einer „kapitalistischen“ Marktwirtschaft können wir mit Oppenheimer sprechen, wenn deren gesellschaftswirtschaftliche Ordnung durch die Interessen einer nach Mehrwertaneignung strebenden Klasse exklusiver Kapitalbesitzer gekennzeichnet ist. Und weil der alte Begriff des Mehrwertes durch Marx eine Bedeutung erhalten hat die mit der Bedeutung bei Oppenheimer nicht übereinstimmt, müssen wir sogleich hinzufügen, dass Oppenheimer unter Mehrwert jenen Wert meint, den ein Kontrahent im Tauschakt aufgrund seiner Machtposition als Aufpreis erzielen kann. Ihm steht begrifflich der Minderwert desjenigen gegenüber, der bei diesem Tauschakt auf der Verliererseite steht.
Würden wir uns eine Woche in dieser Runde Zeit nehmen und all jene bekannten Fälle zusammentragen, bei denen durch Macht sowohl Mehr-wie auch Minderwerte entstehen, kämen wir sicher auf mehr als 100 Beispiele. Viel diskutiert wird momentan auf dem Energiesektor, wo vier Versorger 81% der Erzeugerkapazitäten stellen und zu 100% die überregionalen Netze besitzen. Die Konzerne sind gerade international auf Einkaufstour um ihre Milliarden-Gewinne unterzubringen, während gleichzeitig die Strompreise für gewerbliche Großabnehmer um 30% gestiegen sind von 3,3 auf 4,3 ct pro kw/h und die Privathaushalte durchschnittlich jährlich 140 € mehr für Strom bezahlen müssen. Sicherlich gibt es durch Nachfragesteigerung und natürliche Knappheit beim Erdöl Gründe, weswegen manche Kosten steigen. Fatal ist nur, dass Substitutionsgüter wie Erdgas an die Preisentwicklung des Erdöls angekoppelt werden und der Umstand, dass etwa Biblis Strom unverändert für unter 1 ct produziert, dem Endverbraucher keinen Vorteil bringt. Der Verteilungseffekt dieser geduldeten Machtstellung der Energieversorger ist klar. Der Konsum anderer Güter wird von denen, für die das Geld jetzt schon knapp ist, um 140 € reduziert werden müssen.
Werfen wir einen kurzen Blick auf ein anderes Thema: die Staatsverschuldung.
Wenn der Staat Geld benötigt zur Finanzierung notwendig erachteter Investitionen, sich aber gleichzeitig scheut den Bürgern entsprechend seiner Leistungsfähigkeit zeitnah mit Steuern zu belasten, dann entsteht Staatsverschuldung. 1.441.000.000.000 Euro beträgt momentan unsere Staatsverschuldung. Bei 4% sind dies 57.640.000.000 Euro Zinsen pro Jahr. Bei 38.800.000 Erwerbstätigen in Deutschland kommen wir auf
1.480 Euro pro Jahr und Erwerbstätigen. Dieses Geld wird über die zu zahlenden Zinsen umverteilt.
Eine andere Statistik besagt, dass auf jeden Privathaushalt (ohne Hausfinanzierungen) durchschnittlich 40.000 Euro Schulden lasten, was etwa 1,4 Billionen ausmacht. Nur sagen Durchschnittszahlen in diesem Fall recht wenig aus. Wahrscheinlicher ist doch die Aussage, dass ein Teil der Bevölkerung über ein Vermögen verfügt dem Schulden der Privathaushalte (1,4), des Staates (1,44) und der Unternehmen gegenüber stehen. Denn nichts anderes ist „Geld“. Guthaben hier und Schulden dort. Wenn man diesen Ansatz einmal zu Ende denkt, sieht man, wohin die Massenkaufkraft eigentlich verschwindet, nämlich auf den Konten jener, die bereits alles haben und nichts mehr nachfragen. Ab einem gewissen Vermögen – so hat es mir mal ein Berater der Branche gesagt -kann man nur noch reicher werden, weil das, was man privat ausgeben kann, immer weniger sein wird als das, was durch Zinsen hinzukommt.
Wir haben, wenn wir über diesen Umverteilungsmechanismus sprechen, nicht lediglich eine Frage der Wohlstandsverteilung vorliegen, sondern einer gravierenden Gleichgewichtsstörung. Der Satz, wonach jeder, der eine Leistung vom Markt nehmen möchte in der Lage sein soll, durch eigene Arbeit geeignete Tauschwerte anzubieten, wird auch und gerade dadurch gestört, dass der arbeitende Steuerzahler Tauschwerte anbieten muss, die von den Gläubigern des staatlichen Schuldverhältnisses nicht nachgefragt werden. Der Schuldner unterliegt einem Angebotsdruck, denn nichts anderes macht den Wert des Geldes in einem Giralgeldsystem aus. Kann der Schuldner sich nicht von seiner Schuld befreien indem er diese erfolgreich abarbeitet, wächst die Schuld Jahr für Jahr durch Zins und Zinseszins weiter an. In dem Maße, wie die Schuld wächst, sinkt der konsumierbare Anteil des Einkommens.
Die älteren unter Ihnen werden sich vielleicht noch daran erinnern, unter welchen Umständen die Koalition zwischen CDU und FDP unter Ludwig Erhard zerbrach. Erhard wollte damals unbedingt die laufenden Ausgaben des Staates nicht über Kredite, sondern über Steuererhöhungen finanzieren, was die FDP zum Ausstieg aus der Koalition bewegte. Nichts ist kapitalistischer, als eine staatlich erzwungene Verdienstmöglichkeit der besitzenden Klasse einzurichten, statt diese ihrer Leistungsfähigkeit entsprechend im Jahr der Ausgaben heranzuziehen.
Ich komme damit zum nächsten Punkt, dem paradigmatischen Unterschied zwischen kapitalistischer und sozialer Marktwirtschaft. Indem die historisch gewachsenen gesellschaftlichen Machtverhältnisse bei Oppenheimer eine Rolle spielen, gruppieren sich die Akteure bei ihm anders. Machen wir dies exemplarisch an dem wichtigsten aller Märkte fest, dem Arbeitsmarkt.
Seit Jahrzehnten sind die politischen Parteien gespalten in zwei Lager.
Die eine Seite behauptet, Unternehmen schaffen keine Arbeitsplätze, weil sie damit zu wenig verdienen. Wir müssen die Kosten senken, insbesondere den Preis für Arbeit (Arbeitslohn). Arbeit ist zu teuer und wird deswegen nicht nachgefragt. (Angebotsorientierung)
Die andere Seite behauptet, Unternehmen schaffen keine Arbeitsplätze, weil sie ihre Produkte nicht verkaufen können. Hätten wir eine starke Binnennachfrage, bestünde auch ein Anreiz für mehr Wirtschaftswachstum und somit mehr Arbeitsplätze. Wir müssen also dafür sorgen, dass die Haushalte über hohe Einkommen verfügen, dann können sie auch die Produkte nachfragen und die Wirtschaft wird angekurbelt.
Man erkennt schnell, dass sich die beiden Aussagen gegenseitig ausschließen. Dennoch glauben alle etablierten Parteien entweder an die Richtigkeit der einen oder der anderen Aussage. Dass sie lediglich Gefangene eines Denkmodells sind und deswegen etwas herauskommt, was offensichtlich unmöglich sein kann (nämlich eine Sache und ihr glattes Gegenteil), scheint niemanden zu stören oder stutzig zu machen.
Die Lösung ist im Grunde einfach, wenn man das Denkmodell wechselt. Das heute gültige Modell unserer Wirtschaft schreibt in den ersten Sätzen jedes Lehrbuches fest, es gäbe mindestens zwei Sektoren in jeder Marktwirtschaft, nämlich die Haushalte und die Unternehmen. Die Haushalte stellen die Arbeit und das Kapital bereit und fragen die produzierten Waren nach. Die Unternehmen kaufen die Arbeit und leihen das Kapital, so dass die Haushalte von den Unternehmen ein Einkommen beziehen. Sicherlich haben Sie davon so oder ähnlich bereits gehört.
In dem Oppenheimerschen Denkmodell sieht die Sache etwas anders aus. Danach ist jeder Mensch sowohl Produzent wie auch Konsument. Als Konsumenten sind alle Menschen gleich, jedoch in ihrer Eigenschaft als Produzenten muss man zwei Gruppen unterscheiden. Die Gruppe der Unternehmer zeichnet sich dadurch aus, dass sie in der Lage ist ihre eigene Arbeitskraft und die Arbeitskraft anderer Menschen produktiv einzusetzen. Die Gruppe der Arbeiter hingegen findet keine produktive Verwendung für das vorhandene Arbeitspotential, es sei denn, es wird von der Gruppe der Unternehmer nachgefragt.
Wenn beide Modelle auch ähnlich klingen, wird doch nur in Oppenheimers Modell sichtbar, unter welchem Problem wir heute leiden. Schon Karl Marx wusste vor 120 Jahren, dass die Situation der Arbeiter umso ungünstiger ist, je mehr Arbeiter einem Unternehmer hinterherlaufen. Dieser Gedanke wurde von Oppenheimer aufgegriffen und dahingehend weiterentwickelt, dass man das zahlenmäßige Verhältnis von Unternehmer-Typen zu Arbeiter-Typen in einer Wirtschaft betrachtet. Historisch gesehen gab es in Deutschland im 14. Jahrhundert eine Fase, in der dieses Verhältnis ca. 1:1 betrug, also auf jeden selbständigen Handwerker ca. 1 unselbständiger Geselle oder Lehrling kam, der im Laufe seines Lebens in der Regel aber selber die Selbständigkeit erreichte. Und auch auf den Einwand hin, so könne man keine großen Unternehmen aufbauen, hat bereits Marx entgegnet, dass man große Unternehmen auch in einer Art freiem Zusammenschluss unter gleichberechtigten Partnern organisieren könne. Der wesentliche Punkt für uns ist hier aber ein anderer. Wir finden in Oppenheimers Modell eine gänzlich andere Beschreibung des marktwirtschaftlichen Steuerungsmechanismusses auf dem Arbeitsmarkt vor.
Für Ludwig Erhard war es ein wichtiges Ziel, das Verhältnis von Unternehmer-Typ zu Arbeiter-Typ dahingehend zu verändern, dass immer mehr Unternehmer-Typen auf immer weniger Arbeiter-Typen in unserer Wirtschaft treffen. Nur dadurch hat auch ein Arbeiter die Chance auf einen hohen Anteil am erzeugten Produkt. Wir können uns jetzt überlegen, was in den vergangenen Jahren dazu geführt hat, dass es in Deutschland immer weniger Unternehmer-Typen gibt. Neben allen anderen Faktoren, die ich hier noch nicht angesprochen habe, haben wir in Deutschland ein gewaltiges kulturelles Problem, denn unsere Bildungsinstitutionen sind ganz darauf eingestellt, den Arbeiter-Typ hervorzubringen. Die Fähigkeit zur ökonomischen Eigenständigkeit, einer hohen Form der Persönlichkeitsentwicklung, ist in Deutschland kein Ziel. Selbst die großen Unternehmen werden nicht mehr von Unternehmern geführt sondern von Arbeiter-Typen auf höherer Stufe.
Mir wurde berichtet von einem Manager, der für den Standort eines amerikanischen Unternehmens in Deutschland mit 1200 Mitarbeitern zuständig ist, dass dieser in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt sei wie ein Sachbearbeiter. Er liefert die Zahlen nach Amerika und erhält im Gegenzug die Anweisungen, welche Teilbereiche zu schließen sind. Auch schon früher gab es Produktlebenszyklen und haben Unternehmen auslaufende Geschäftsmodelle ersetzt durch neue Ideen und Produkte. Der hier genannte unterliegt jedoch einem strikten Denkverbot und hat ausschließlich zu vollziehen, was die „militärische“ Führung anweist.
Die Regentschaft der Zahlen und Profite in Verbindung mit dem amerikanisierten Führungsstil in den Unternehmen, wonach autoritäre Kader mit absoluter Machvollkommenheit riesige Unternehmensgebilde mit planwirtschaftlichen Methoden zu führen versuchen, wirkt geradezu zerstörerisch auf die Motivation deutscher Ingenieure, die ihre Fähigkeiten kreativ und expansiv einsetzen wollen, aber nicht dürfen. Hier wird ein Herrschaftssystem zur Fessel all jener, die über das Potential zur Produktivität vom Bildungsstand her gesehen eigentlich verfügen würden.
Das die Menschen in unserem Land ihre Fesseln nicht abstreifen können, hat eine tief in unserer Kultur verwurzelte Ursache. Vom staatlichen Militarismus zum Befehlsempfänger, bis heute getrimmt darauf in einem Unternehmen seinen Platz einnehmen zu können, ist die Fähigkeit zur Selbstständigkeit heute geringer ausgeprägt denn je. Ein Volk mit 2% Unternehmer-Typen hat verglichen mit einem Volk das 50% Unternehmer-Typen hervorbringt ein Problem. Unternehmer-Typen können sich immer freiwillig assoziieren oder in bestehende Unternehmen eintreten, solange dies von Vorteil für sie ist. Der Arbeiter-Typ hingegen kann nur darauf warten und hoffen, dass ein Unternehmer-Typ die Aufbauleistung für ihn erbringt und dann Arbeiter-Typen nachfragt.
Was wir brauchen sind m.E. nicht so sehr höhere oder niedrigere Löhne, sondern eine andere kulturelle Ausrichtung der Entwicklung unserer persönlichen Fähigkeiten als Produzenten. (Natürlich kommen weitere Aspekte z.B. im Steuerrecht etc. hinzu, die die Entfaltung von mehr Unternehmertum stören und hier nicht diskutiert wurden.)
Vielleicht wurde nach diesen Ausführungen erkennbar, dass unser momentan gültiges Wirtschaftsmodell einen Haken mit weitreichenden Konsequenzen hat. Es ist das Spiegelbild einer kapitalistischen(!) Wirtschaftsordnung in der Wissenschaft und nicht das Spiegelbild einer Sozialen Marktwirtschaft, wie sie von Erhard angestrebt und eingeführt wurde. In dem heute gültigen Modell wurde das hier geschilderte Problem absichtlich verschleiert, weil die Anhänger der Planwirtschaft, stets zwischen Arbeit und Kapital in einer Klassengesellschaft unterschieden haben und man diesen Vorwurf, in einer kapitalistischen Klassengesellschaft zu leben, eliminieren wollte. Es handelt sich um einen absichtlich, ideologisch gesetzten "blinden Fleck" in der heutigen Wissenschaft.
Kommen wir zum dritten Punkt, der Methode Oppenheimers
Von seiner Erstausbildung her war Franz Oppenheimer Arzt. Er hatte bei Paul Ehrlich promoviert, einem herausragenden Naturwissenschaftler, und war mit den naturwissenschaftlich strengen Methoden wohl vertraut zu einer Zeit, als sich alle Gesellschaftswissenschaften nahezu ausschließlich in philosophischen Diskursen ergingen. Wir können von Oppenheimer deswegen erwarten, dass alle zentralen Sätze seines Werkes einer empirischen Überprüfung zugeführt wurden, jede These mit ihrer Antithese konfrontiert wurde und erst nach strenger Prüfung für wahr erachtete Sätze in sein Modell eingegangen sind.
Als Arzt hatte er die Idee – wie schon andere Ärzte vor ihm in der Nationalökonomie – die Wirtschaftsgesellschaft und ihre Gesellschaftswirtschaft mit einem lebendigen Körper zu vergleichen. Als Arzt ist man geschult, sich nicht mit den Symptomen einer Erscheinung abzugeben, sondern nach der auslösenden Ursache zu suchen. Und treten mehrere Symptome gleichzeitig auf, handelt es sich selten um mehrere Störungen, sondern lässt sich meistens alles auf einen einzigen Grund zurückführen. Man darf in der Diagnostik nicht eher ruhen, bis die tiefste zugrunde liegende Störung gefunden ist, die die größte mögliche Anzahl an Symptomen erklärt. Beseitigt man diese Störung, heilt sich der Körper von selbst.
Wenngleich Oppenheimer und Erhard in der Vergangenheit bereits die gesellschaftlichen Machtverhältnisse als Problem verursachend erkannt haben, folgerte für sie daraus doch nie der Aufruf zur sozialen Revolution. Beide haben stets empfohlen, den Menschen Wege zu eröffnen, damit diese ihr Arbeitspotential produktiv einsetzen können und sich so über die selbst geschaffenen Werte befreien können aus ihrer Abhängigkeit. Um das zu ermöglichen, hat Oppenheimer zu seiner Zeit das Rezept der Produktivgenossenschaft ausgestellt. Erhard war es auf anderem Wege gelungen zur Vollbeschäftigung zu kommen. Und wir müssen wieder neu überlegen. Auf keinen Fall sind die oberflächlichen Antworten „Globalisierung“ und „hohe Arbeitskosten“ zielführend, denn im Außenhandel können sich deutsche Produkte international behaupten, so wie auch das erwirtschaftete Gesamtprodukt keine kritische Größe darstellt, gemäß Armutsbericht jedoch immer weniger die Masse der Bevölkerung erreicht.
Wir haben aus meiner Sicht ein Abhängigkeits-und Unfähigkeitsproblem. Einerseits ist die Frage der eigenen Existenzsicherung für jeden Menschen wichtig. Andererseits entlassen wir Generationen von Schülern und Studenten ohne fundierte Kenntnisse für eine eigenständige Existenzsicherung und stellen in unserem Bildungssystem ganz darauf ab, dass das Volk sich in bestehenden Arbeitszusammenhängen nützlich machen kann.
Ich fasse zusammen: Wenn Sie den Namen Franz Oppenheimers durch ein Institut ehren wollen, dann können Sie dies auf zweierlei Weise inhaltlich machen: Volkswirtschaftlich, indem Sie gegen das Vergessen eintreten und der Welt davon berichten, was das Wesen einer Sozialen Marktwirtschaft ausmacht. Kein anderes Volk der Erde weiß von diesem Schatz, den Oppenheimer einst gehoben hat. 100 Journalisten, 100 Politiker und 100 Wissenschaftler, die diesen Weg gehen, würden die Transformation von der kapitalistischen in eine soziale Marktwirtschaft erneut angehen können und die Verhältnisse in unserem Land wieder vom Kopf auf die Füße stellen können.
Betriebswirtschaftlich können Sie Oppenheimer ehren, indem sie keinen Studenten von ihrer Einrichtung entlassen, der nicht in der Lage wäre zumindest seine Arbeitskraft produktiv zu verwerten. Die Studierenden müssen trainiert werden im Entwickeln von Geschäftsideen. Darüber lernen sie Märkte zu analysieren, Engpässe und Probleme zu erkennen, Lösungen zu entwickeln. Der Weg von der Geschäftsidee zur Geschäftsführung muss allen Menschen so vertraut sein wie die Verkehrsregeln. Bilden Sie Unternehmer-Typen aus und transformieren Sie dadurch den Handel mit Arbeitskräften in einen Handel mit Arbeitsplätzen.
Meine Vision ist, dass es eines Tages spezielle Projektgesellschaften geben wird, die Arbeitsplätze produzieren, von der Ideenfindung über die Konzeption bis zum laufenden Betrieb. Fehlen in einem Unternehmen die Ideen oder in einer Stadt die Arbeitsplätze, erstellen diese Gesellschaften ihr Angebot: 250 Arbeitsplätze, jährlicher Durchschnittsverdienst 50.000 EUR, Investitionssumme 80.000 EUR, Provision pro betriebsfertigen Arbeitsplatz 20.000 EUR oder 8% vom erwirtschafteten Überschuss.