Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft

Schriften Franz Oppenheimers veröffentlicht

In Deutschland nahezu in Vergessenheit geraten ist der deutsch-jüdische Nationalökonom und Soziologe Franz Oppenheimer (1864–1943). Er gilt als der Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, war Doktorvater Ludwig Erhards. Der ehemalige Bundeskanzler lernte seinen Lehrer als einen Mann kennen, "der mit heißem Herzen, aber mit kühlem Kopfe an die Probleme herangegangen ist und der alle verachtete, die in der Umkehrung mit schwülem Kopf und kaltem Herzen ein Volk beglücken zu können glaubten. Er hatte das rechte Augenmaß für die Dinge". Um die Erkenntnisse des Universalgelehrten zu dokumentieren und wissenschaftliche Dispute anzuregen, nahm Prof. Dr. Julius H. Schoeps gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern vor einigen Jahren ein Forschungsvorhaben in Angriff, welches in einem Buchprojekt mündete.

Überreichte die nun fertiggestellte Edition Gesammelter Schriften Franz Oppenheimers an Sachsens Ministerpräsidenten, Prof. Dr. Kurt Biedenkopf (links): Prof. Dr. Julius H. Schoeps (rechts). Foto: Fritze

Am 10. Mai 1998 konnte nun Schoeps, Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam (MMZ), den dritten und letzten Band der Edition "Franz Oppenheimer. Gesammelte Schriften. Schriften zur Demokratie und Marktwirtschaft" präsentieren. Der Mitbegründer der Frankfurter Schule schuf ein umfassendes Werk bahnbrechender Schriften zur Soziologie, Ökonomie und zu politischen Fragen seiner Zeit. Mit der jetzt herausgegebenen Publikation, die im Berliner Akademie Verlag erschien, werden auf insgesamt 2.160 Seiten bislang verstreute Schriften erstmals zusammengefaßt und mit einem wissenschaftlichen Anmerkungsapparat versehen. Band I enthält Maßgebliches zur Theoretischen Grundlegung, Band II die Politischen Schriften und Band III Schriften zur Marktwirtschaft, Nationalökonomie und Wirtschaftspolitik.
Die Vorstellung der Edition erfolgte auf der vom MMZ in Verbindung mit der Brandenburgisch-Historischen Kommission e.V. veranstalteten dreitägigen Konferenz "Wirtschaft und Gesellschaft – Franz Oppenheimers Grundlegung der sozialen Marktwirtschaft" Mitte Mai dieses Jahres. In Anwesenheit des Ministerpräsidenten, Dr. Manfred Stolpe, und der Tochter Oppenheimers, Renata Lenart, diskutierten Fachleute des In- und Auslandes dabei Thesen Oppenheimers zur Wirtschaft und Gesellschaft.
Den Eröffnungsvortrag hielt Prof. Dr. Kurt Biedenkopf. Er sprach über "Wirtschaftspolitik und die soziale Frage". Die wohlstandsfördernde Wirkung als einzige Legitimation für ein Wirtschaftssystem anzusehen, bezeichnete Sachsens Ministerpräsident als gefährlich. Die Soziale Marktwirtschaft sei eine kulturelle Leistung. Soziale Systeme zu reformieren, bedürfe es allerdings der Mitwirkung der Bevölkerung. Im Interesse des persönlichen Freiheitsgewinns müsse jeder zunächst versuchen, Probleme selbst zu lösen. Voraussetzung dafür sei Transparenz. Denn "die Menschen sind nicht bereit, sich einer Ordnung anzuvertrauen, die sie nicht durchschauen".

Originalquelle: Potsdamer Universitätszeitung, Ausgabe Juni 1998


Ein Mann mit heissem Herzen und kühlem Kopf

Schriften Franz Oppenheimers werden veröffentlicht

"Ich werde glücklich sein, wenn die soziale Marktwirtschaft – so vollkommen oder so unvollkommen sie sein mag – weiter zeugen wird auch für das Werk, für den geistigen Ansatz der Gedanken und die Lehre von Franz Oppenheimer." Deutschlands Bundeskanzler von 1963 bis 1966, Dr. Ludwig Erhard, schrieb diese Zeilen im Vorwort zu Franz Oppenheimers Autobiographie. Dieser gilt als Vordenker der sozialen Marktwirtschaft. Die Synthese von Liberalismus und Sozialismus, von Marktwirtschaft, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit bildet dann auch den Schwerpunkt seines Lebenswerkes.

Franz Oppenheimer (1864–1943) Franz Oppenheimer (1864–1943) schuf ein umfangreiches Werk, bestehend aus ca. 40 Büchern und 400 Aufsätzen, mit Schriften zur Soziologie, Ökonomie und zu politischen Fragen der Zeit. Er wirkte an der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin und hatte den ersten deutschen Lehrstuhl für Soziologie in Frankfurt/Main inne. 1938 emigrierte er in die USA. Als Doktorvater des späteren Bundeskanzlers Ludwig Erhard übte der Wissenschaftler einen nicht unerheblichen Einfluß auf die Durchsetzung der sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland aus. Foto: zg

Völlig zu Unrecht sei der deutsch-jüdische Nationalökonom und Soziologe in Deutschland nahezu in Vergessenheit geraten, meint Prof. Dr. Julius H. Schoeps, Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam. Es sei "ihm und seinem Wirken zu verdanken, daß die Idee einer sozial gerechten Marktwirtschaft im Nachkriegsdeutschland Fuß gefaßt hat. Der Aufschwung und das sogenannte 'Wirtschaftswunder' der Nachkriegsjahre ist nicht zuletzt auf die Gleichbewertung von Markt und Sozialstaatlichkeit zurückzuführen. Ohne dieses Konzept würden wir heute in einem anderen Deutschland leben." Um gegen dieses Vergessen anzugehen, nahm Julius H. Schoeps gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern ein Forschungsvorhaben in Angriff, welches in einem Buchprojekt mündet. Sollen doch die Gesammelten Schriften Franz Oppenheimers, drei Bände in fünf Teilen, im Akademie Verlag erscheinen. Der erste Band "Theoretische Grundlegung", dem "Politische Schriften" und "Schriften zur Marktwirtschaft" folgen, wurde Ende September 1995 im Alten Rathaus in Potsdam präsentiert. Er enthält fünf Frühwerke Oppenheimers, in denen er das theoretische Fundament seines "Dritten Weges", einer gerechten und pluralistischen Gesellschaftsordnung, entwickelt. Der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, Prof. Dr. Roman Herzog, hatte nicht nur deshalb gerne die Einladung zu dieser Veranstaltung angenommen, weil Oppenheimer der Lehrer von Ludwig Erhard war und fast in jedem zweiten Gespräch auf ihn zu sprechen gekommen sei, "sondern vor allem, weil er zu den Vordenkern der sozialen Marktwirtschaft gehörte, die immer wieder einmal begründet werden muß". In Anwesenheit von ca. 150 Gästen, unter ihnen der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, und die Tochter Oppenheimers, Renata Lenart, äußerte sich der Bundespräsident in seinem Festvortag zum Thema "Freiheitlicher Staat, humane Gesellschaft, soziale Marktwirtschaft". Das deutsche Modell der sozialen Marktwirtschaft fände "in aller Welt, von den USA bis nach China, Bewunderung... Aber auch die soziale Marktwirtschaft muß Anpassungskrisen bestehen, die durch die unaufhaltsame Globalisierung der Märkte ausgelöst werden". Die staatlichen Anreizsysteme seien so zu gestalten, daß jeder einzelne seine Chance erhielte. Innovationen müßten zu einem Breitensport gemacht werden, der den Fußball in den Schatten stellt.

Renata Lenart und Roman Herzog in PotsdamZur Präsentation des ersten Bandes Gesammelter Schriften Franz Oppenheimers kam eigens aus diesem Anlaß dessen Tochter Renata Lenart aus den USA nach Potsdam. Roman Herzog hielt den Festvortrag. Foto: Fritze

Originalquelle: Potsdamer Universitätszeitung, Ausgabe November 1995